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Apfeldiebe

Titel: Apfeldiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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Lügengeschichten ins Ohr.
    Ganz anders der zweite Mann. Dieser trug einen schwarzen Umhang, aber unter diesem Umhang glühte alles. Dieser Schein blendete Max, der Junge bedeckte die Augen mit beiden Händen, konnte aber gerade noch erkennen wie sich dieser Umhang öffnete, Flammen hervorschlugen und wie aus diesen Flammen wiederum ein Würfel vor seine Füße fiel. Der Würfel glühte, tanzte über den Weg und hinterließ brennende Grashalme und zu Glas verbackenen Sand. Vor Max’ Füßen endete der Tanz, der Würfel drehte sich um die eigene Achse, entschied sich schließlich und legte sich auf die Seite.
    Vier.
    Bedeutete das jetzt etwas Gutes oder Schlechtes?
    Der Weiße warf nun seinerseits einen Würfel in die Luft, ein Ding, welches glänzte, strahlte und auf seinem Weg zu Max alles, was es berührte, in Gold verwandelte. Max wünschte sich, dass der Würfel seine Schuhe berührte, aber dieser folgte nicht den Wünschen des Kindes, sondern ausschließlich dessen Taten. Er tanzte, zögerte, überlegte und legte sich schließlich neben das brennende Double. Max wagte kaum hinzusehen.
    Eins.
    Max erkannte die Zahl, fragte sich noch, ob der Gewinner nach Zahlenwert oder nach Schulnoten ermittelt wurde, als der schwarze Mann ihn am Handgelenk packte und diese Frage mit Tatsachen beantwortete. Max wehrte sich, schlug um sich! Die Hand! Die Hand verbrannte ihn! Er konnte sein eigenes, verkohltes Fleisch riechen und die Hand ließ ihn nicht los!

    Kasi erwachte von Max’ Stöhnen. Obwohl noch Timi und Alex zwischen den beiden Jungen als Puffer lagen, übertrug sich die Unruhe des Älteren über die ganze schlafende Kinderkette bis zu ihrem anderen Ende, wo Kasi sie in Empfang nahm und sich aufsetzte. Er fror und ahnte, dass ihm und den anderen diese Kälte sehr bald nichts mehr ausmachen würde. Im Augenblick aber quälte sie ihn, mehr noch als sein Hunger. Dem konnte man wenigstens mit einigen Schlucken Wasser und einem Stück von seinem Rucksack einen vollen Magen vorgaukeln, mit dem Frieren ging dies nicht; entweder es war einem kalt oder eben nicht, ein Dazwischen existierte nicht.
    Kasi stand auf, tastete nach der Wand und streckte sich. Er nahm den verletzten Arm aus der Schlinge und streckte auch diesen und – Ironie des Schicksals – mit jedem Mal funktionierte dieser besser. Ruhe, Wasser, ja, vielleicht sogar der eigene Urin hatten Kasis geschwollener Schulter gutgetan und, ein Weiterarbeiten vorausgesetzt, hätte Kasi zum ersten Mal seit drei oder vier Schlafperioden wieder richtig mit anpacken können. Aber heute, so viel stand fest, heute würde kein einziger Stein seinen Platz da oben verlassen, heute würde nicht mehr gearbeitet werden. Heute wird auf den Tod gewartet. Und ein ganz klein wenig auf ein Wunder. Kasimir kannte all die Märchen und Geschichten, die Sagen und auch ein Gutteil der Geschehnisse aus der Bibel und wusste, dass es diese Wunder manchmal gab, ja, es gab sie sogar heute noch, wenn auch auf der anderen Seite der Weltkugel. Die Sache mit diesen Bergleuten in Chile zum Beispiel: über dreißig Männer wochenlang Hunderte Meter tief unter der Erde eingesperrt und am Ende hatten sie alle überlebt. Das konnte man Wunder nennen und Kasi war wie seine Eltern und viele, viele andere Menschen auf der Welt felsenfest davon überzeugt, dass bei dieser Sache Gott seine Finger im Spiel gehabt haben musste. Wunder geschahen also auch heute noch, warum also nicht auch hier? Aber bis dahin hieß es eben warten, die Bergleute da in Chile hatten auch gewartet.
    Max warf sich auf seinem Staubbett herum und stöhnte. Sollte kein Wunder geschehen, würde niemals jemand etwas von dem hier erfahren, nicht von Max’ Träumen, nichts von Kasis heilender Schulter, nichts von ihren Befreiungsversuchen. Für die da oben würden die Kinder einfach nur weg sein und selbst, wenn man in einer Tage oder Jahre zählenden Zukunft ihre Leichen entdeckte, würde sich niemand vorstellen können, was sich wirklich zugetragen hatte. Kasis Finger berührten die Wand und diese Berührung wirkte wie ein kleiner Zauber. Sein Körper straffte sich und plötzlich wusste er, was zu tun war: Sie mussten, so lange sie dies noch konnten, eine Nachricht hinterlassen!
    Dieser Einfall wirkte auf Kasimir wie eine Wärmedecke, die Gänsehaut verschwand, er spürte neue Kraft und Energie in seinem Körper. Ja, selbst wenn sie dieses Loch hier niemals wieder lebend verlassen sollten, selbst dann mussten seine Eltern erfahren, dass er

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