Apfeldiebe
Gedanken. So aussichtslos alles hier in diesem Gefängnis auch schien, aufgeben durfte man nie. Und wenn doch, wie vorhin, als er selbst beinahe ohne Gegenwehr erfroren wäre, wenn doch einer von ihnen aufgeben sollte, dann mussten die anderen für ihn kämpfen, wie Timi und Alex es für ihn getan hatten.
» Zeig mal deine Hände«, sagte Alex. Vorhin, als er Kasi aus dem Brunnen gezogen hatte, waren ihm die fleischfarbenen Linien auf den Handflächen des Zehnjährigen aufgefallen, doch da hatte es Wichtigeres gegeben. Jetzt erinnerte er sich daran. Kasis Hände erschienen vor ihm, Alex nahm die Lampe und hielt die Luft an.
» Sieht es schlimm aus?«, fragte Kasi. Er selbst traute sich nicht hinzusehen. »Wird es wieder verheilen?«
Der Umstand, dass der Junge während seines Sturzes das Seil zu fassen bekommen hatte, dürfte ihm das Leben gerettet haben, vorerst jedenfalls. Aber zu welchem Preis! Timi richtete sich auf, auch er wollte etwas sehen, Alex aber drückte den Jungen zurück auf sein Lager und schüttelte den Kopf. Kasis Handflächen besaßen nicht mehr viel Ähnlichkeit mit dem herkömmlichen Bild einer Handinnenseite: dort, wo bei Alex und Timi feine Linien verliefen, glänzte bei Kasimir eine einzelne breite Schneise aus rohem Fleisch und erinnerte Alex an Bilder aus dem Biologieunterricht.
» Wir sollten das verbinden«, sagte Alex, etwas Besseres fiel ihm nicht ein. Sein Magen rumorte. Aber zum Glück verschwanden Kasis Hände wieder in ihrem Versteck.
» Später«, sagte Kasi und schloss die Augen, »das können wir später machen.«
» Wir verbinden sie und wenn du …«
» Natürlich«, unterbrach ihn Kasi, »wenn ich mal muss, pinkel ich drüber.«
Und diesmal muss niemand vor mir niederknien.
Kasis Kopf kippte zur Seite und sein Blick blieb an Max hängen. Das schwache Licht seiner neben Alex liegenden Lampe konnte Kasis Widersacher kaum von der Wand lösen, alles verschmolz in einem Gemisch aus Grau, mal etwas heller, dann wieder dunkler, dabei aber immer grau. Nur Max’ Augen, die leuchteten wie zwei Sterne und sie leuchteten genau zu ihm hin.
» Was, was wird aus Max?«, fragte Kasi. Er hatte, als Alex ihm die Kleider ausgezogen hatte, kurz Max’ auf dem Rücken zusammengebundene Arme und Beine gesehen, wusste, dass so von ihm keine Gefahr ausgehen dürfte, trotzdem spürte er das Böse herübergaffen. Und fürchtete sich davor. »Bleibt er da liegen?«
Alex richtete sich zur Hälfte auf, nahm die Lampe und beleuchtete ihr größtes Problem.
» Solange wir schlafen ist es besser, wenn alles so bleibt wie es ist«, sagte er. »Oder, Timi, was meinst du?« Aber Timi wusste gar nichts mehr, jedenfalls nicht, wenn es sich um Max handelte. Er wusste, Max hätte Kasi ohne mit der Wimper zu zucken ertrinken lassen und das, obwohl der ihm, Timi, doch das Leben gerettet hatte. Nein, Max war krank, im Kopf krank. Und gefährlich. Timi wollte nicht, dass sein Bruder so an der Wand liegen musste, er wollte aber auch nicht im gleichen Raum mit einem ungefesselten Max schlafen.
» Aber etwas Wasser sollten wir ihm geben«, flüsterte Timi, als habe er Angst, dass der große Bruder dies hören und als Schwäche auslegen könnte. Max würde bestimmt keinem Gefangenen etwas zu trinken geben, aber Timi war nicht Max.
» Ja«, sagte Alex und krabbelte unter der Regenjackendecke hervor, »das stimmt. Ich hab auch Durst.« Alex löste Max’ Taschenlampe vom Ende des Seiles und ersetzte sie durch Timis Colaflasche. Als er die Flasche in den Brunnen hinabließ, stellte er sich so, dass er Max sehen konnte, selbst gefesselt traute er ihm nicht mehr. Aber Max blieb regungslos, beobachtete allerdings genau, was um ihn herum geschah. Als Alex aber mit der gefüllten Flasche zu ihm kam, schoss sein Kopf nach vorn und schlug damit gegen Alex’ Hand. Die Flasche fiel zu Boden.
» Wollt ihr mich vergiften?«, schrie er. »Das ist es doch, was ihr unter eurer Decke ausgeheckt habt: vergiften, einen gefesselten Jungen einfach so vergiften – das könnte euch so passen, ja? Keinen Tropfen trinke ich von dieser Brühe! Das Mädchen hat doch bestimmt vor Angst in den Brunnen gepinkelt! Und das soll ich jetzt trinken?« Max lachte und spuckte aus. »Nichts trinke ich, keinen Schluck. Nie und nimmer.« Er warf sich auf die Seite und versteckte das Gesicht an der Wand.
Alex wollte etwas sagen, öffnete bereits den Mund, zuckte dann aber nur mit den Schultern. »Dann eben nicht«, sagte er, nahm die Flasche und
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