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Apfeldiebe

Titel: Apfeldiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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ein Kribbeln im Bauch. Beides tauchte immer dann auf, wenn jemand sie zu Unrecht beschuldigte. Sie hatte nicht gelauscht! Sie hatte gespielt und die Jungen hatten so laut über ihr Geheimnis geredet, dass sie jedes Wort verstanden hatte, verstehen musste. Alex’ Gesicht verschwamm hinter einem Schleier aus Tränen. Sie wollte nicht weinen, Alex mochte das nicht, trotzdem fand eine erste Träne ihren Weg und kullerte über Lenis Wange.
    » Sag schon, was hast du gehört?« Alex versuchte freundlich zu klingen. Er schob Lenis Plüschschätze zur Seite und setzte sich zu ihr aufs Bett. »Na?«
    » Alles, was ihr erzählt habt«, sagte Leni wahrheitsgemäß. Die Jungs dachten immer, nur weil sie mit ihrer Puppe spielte, sei sie plötzlich taub oder so ähnlich. Sie hielten sich für die Stärksten und Schlausten der Welt, dabei verstanden sie nicht einmal die einfachsten Dinge und eines dieser einfachen Dinge hieß: sie konnte spielen UND hören. Gleichzeitig. »Ihr wollt morgen zur Ruine und in die Höhle steigen. Darf ich mit? Bitte?« Leni setzte sich auf, faltete die Hände, als säße sie mit Mama in der Kirchenbank und legte den Kopf auf die Seite. Das half in der Regel. Alex tat zwar immer so als möge er sie nicht, aber Leni wusste, dass dies nur an seinen Freunden lag. Allein mit ihr verwandelte er sich in den besten großen Bruder der Welt und Leni liebte und bewunderte ihn. »Ich bin auch ganz leise und stehe nicht im Weg. Versprochen.«
    In Alex’ Kopf tanzte ein halbes Dutzend Gedanken gleichzeitig, Bilder eher, denn die wirklich klaren Gedanken versteckten sich in diesen ersten Sekunden des Schrecks als seien sie selbst erschrocken. Wenn Leni alles wusste, konnten er und die anderen die morgige Expedition vergessen! Bliebe Leni zu Hause, würde sie, ganz Anhängsel, sofort zu Mutter rennen und ihr alles brühwarm erzählen. Und Mutter daraufhin mit Leni ins Auto springen und bereits am Wanderparkplatz unten an der Steina warten und ihren Großen vor seinen Freunden bis auf die Knochen blamieren. Leni mitnehmen? Niemals! Alex wusste nur zu gut, dass das Anhängsel ihm jetzt alles versprechen würde, nur um ein Ja zu hören und dass sie all diese Versprechungen morgen zwar nicht vergessen hätte, aber trotzdem nicht anders könnte. Ein Anhängsel muss einfach langsam laufen, an jeder Ecke stehen bleiben, irgendwelche blöden Ameisen und Käfer beobachten und diese mithilfe kleiner Zweige umleiten. Es muss Regenwürmer vom Asphalt retten und seiner blöden Puppe einen Pilz zeigen. Das Anhängsel würde erst jammern, dann heulen und schließlich einfach sitzen bleiben und selbst wenn Leni es bis zur Ruine hinauf schaffen sollte, was Alex völlig ausschloss, in diesen Raum würde sie nie und nimmer mit hinabsteigen, erstens weil sie Angst davor haben und zweitens, weil Alex es ihr verbieten würde. Sollte Leni etwas passieren …
    » Nein.« Alex hörte kein Schluchzen, wusste aber, dass sie weinte; das Bett zitterte. »Du kannst nicht mit, das ist nur was für Große. Für große Jungs«, fügte er hinzu und wusste schon, als er diese Worte sagte, dass er einen Fehler begangen hatte. Für große Jungs bedeutete, dass sie nie und nimmer an diesem Abenteuer teilnehmen konnte, egal wie sehr sie sich auch anstrengte, ein großer Junge würde nie aus ihr. »Wenn du etwas größer bist, nehmen wir dich mit. Später«, versuchte er sie zu vertrösten, doch das Anhängsel hatte sehr wohl verstanden. Es würde kein Später geben!
    Leni schlug die Bettdecke zurück, ihre Füße suchten nach den Pantoffeln.
    » Wo willst du hin?«
    » Zu Mama.«
    » Bleib hier!«
    » Ich kann nicht schlafen«, log die Kleine. Alex hielt sie am Arm fest. Gut, dann eben auf die unsanfte Tour, wenn sie das so wollte, bitte.
    » Wenn du uns verrätst, dann …«, wovor hatte sie am meisten Angst? »… dann kommt deine Puppe ins Feuer.« Leni hielt den Atem an. »Und das ganze Zeug hier auch!« Alex’ Arm wedelte über das Bett und Teddys, Katzen und Hunde aus Plüsch purzelten auf den Boden. »Und ich pinkel jede Nacht wenn du schläfst in dein Bett und Mama und Papa werden denken, dass du es warst!« Das saß! Sie liebte ihre Kuscheltiere und ihre Puppe über alles, aber das mit dem Pipi … Erst seit Kurzem hatte das aufgehört, das mit dem nassen Fleck im Bett, jeden Morgen. Es hatte aufgehört und damit aus ihr endlich ein großes Mädchen gezaubert. Sie war so stolz, dass Mama nicht mehr jeden Tag das Laken wechseln musste, stolz,

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