Apfeldiebe
hätte mit Sicherheit das Bein gehoben und einen Tritt angedeutet.
» Max?« Timi leuchtete in die Öffnung. »Alles in Ordnung?«
» Ja.« Alex. »Komm jetzt, Zwerg.«
Timis Finger suchten ganz von allein den kleinen Anhänger, welchen er an einem Lederband Tag und Nacht um den Hals trug. Tante Franzi hatte ihn ihm geschenkt – ein Kruzifix, ohne Kreuz, nur Jesus, mit weit ausgebreiteten Armen und hängendem Kopf. Immer, wenn Tante Franzi aus Bonndorf herüberkam, schaute sie als Erstes, ob er das Geschenk auch ordentlich um den Hals trug. Sie zog dann den kleinen, silbernen Jesus an seinem Band unter Timis Hemd hervor, hauchte ihn an und rieb das Metall mit dem Daumen blank. Zum Schluss küsste sie ihn sogar, zuerst den armen Jesus, danach Timi, erst auf die rechte Wange, dann auf die linke und am Ende ( Nein, nicht den Kopf zur Seite drehen! ) folgte ein sehr feuchter Kontakt mit den Lippen des ach so süßen Kleinen. Timi dachte dabei immer nur an Wasser, an viel Wasser, mit dem er sich und Jesus wieder rein waschen konnte.
Das ist Jesus, er ist für uns alle gestorben, auch für dich, mein Schatz. Er passt auf dich auf, weißt du? Und immer wenn du Angst hast, brauchst du nur Jesus in deine kleinen Knubbelfinger zu nehmen. So kommt er in dein Herz und beschützt dich und nimmt dir deine Angst. Vielleicht hatte sie mit diesem Beschützen und so ja gar nicht mal unrecht, dachte Timi, schließlich erinnerte der Gekreuzigte entfernt an Superman, der mit ausgebreiteten Armen durch die Luft flog, Unheil verhinderte oder es wenigstens wieder einigermaßen geradebog. Manchmal klappte das auch im richtigen Leben, warum also nicht auch jetzt?
Timi starrte auf das Loch, in der einen Hand seinen Rucksack, in der anderen Jesus.
» Bitte Jesus, beschütze mich«, flüsterte Timi, »und mach, dass mir nichts passiert und dass meine Hose nicht kaputt geht und …«
» Komm!«
Timi atmete drei Mal tief durch, schob dem Vorbild des großen Bruders folgend zuerst den Rucksack durch das Loch und folgte schließlich selbst kopfüber. In seiner Hand zauberte Jesus, beschützte ihn, als er über das Geröll schlitterte, sich überschlug und schließlich vor den Füßen der beiden Großen landete. Timi sprang auf und freute sich – das Schwierigste lag hinter ihm, das Abenteuer konnte beginnen!
» Los, jetzt du«, hörte er Rufus oben sagen. Seine Stimme hörte sich für die Kinder im Berg irgendwie komisch an, als stünde er in einem anderen Raum und als lauschten sie an der Wand zu diesem Raum.
» Nein, Kasi kommt als Letzter. Und er soll bloß nicht vergessen, die Zweige wieder vor das Loch zu legen!«, rief Alex.
Der durch das Loch nach unten fallende Lichtkegel verschwand, Rufus landete vor Timis Füßen und das Licht kehrte zurück. Kurz darauf erneute Dunkelheit. Timi wartete darauf, dass das Licht auch diesmal zurückkehrte, Kasi aber leistete ganze Arbeit. Wie von Alex angeordnet, rutschte er in die Öffnung, hielt sich dabei mit einer Hand am Rand fest und zog mit der anderen Äste und Zweige vor das Loch. Als er schließlich ebenfalls in Alex’ vergessener Welt stand, reichte das von oben hereinfallende Licht gerade noch aus, den Nachbarn zweifelsfrei identifizieren zu können. Durch das Astwerk gefiltert fanden nur noch wenige Lichtfäden den Weg in diese Welt, Timi aber interessierte sich weder für Kasis Rutschpartie noch für Lichtfäden. Im Schein seiner Taschenlampe hatte er am anderen Ende des Raumes längst etwas Interessanteres entdeckt. Dort lehnte eine weitere Lanze, vielleicht seit Jahrhunderten, und dem abgebrochenen Rest in Alex’ Rucksack zum Verwechseln ähnlich. Timi berührte sie, beinahe ehrfürchtig strichen seine Finger über das Holz und er erwartete, dass das Relikt bei diesem Kontakt mit seiner Hand zu Staub zerfallen müsse. Aber sie hielt und sie hielt auch noch, als er sie in die Hand nahm. Spinnweben hingen wie ein Seidenschleier an der Spitze und als Timi sie neben den anderen auf den Boden stieß, löste sich eine Staubwolke und rieselte durch Lichtfinger.
» Wahnsinn! Zeig mal her!« Max nahm seinem Bruder die Waffe aus der Hand, wog sie, kratzte mit dem Fingernagel am Holz. Schließlich drehte er sich um und hielt sie Kasi an den Hals. »Ergib dich, Eindringling!« Max’ Stimme hallte, brach sich an der gewölbten Decke und Timi fühlte sich gut. Das hier, das konnte man endlich einmal als richtiges Spiel bezeichnen, ein Abenteuer und nicht dieses ewige Herumgesitze auf dem
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