Apfeldiebe
gedacht.
» Zeig mal her.« Max löste sich aus seiner Erstarrung und ging zu seinem Freund. Alex reichte ihm das Schwert und Max fuhr mit den Fingerspitzen über die Klinge. »Stumpf wie die Zähne von meinem Opa.«
» Das ist das Paradies!« Alex zerrte aus einem Berg Ketten etwas heraus, das er umgehend als etwas definierte, mit dem man früher ganz bestimmt Gefangene gefesselt hatte: vier annähernd gleich lange Kettenstücke, in der Mitte miteinander verbunden und an jedem der vier Enden eine Schelle, zwei davon etwas kleiner, zwei größer. »Das gibt’s doch nicht.« Vergeblich leuchtete Alex im Kettenhaufen nach den ausgebleichten Knochen des Verurteilten.
» Was meinst du, was man dafür kriegt?« Max vermutete, dass jedes der Stücke hier unten locker zehn, vielleicht sogar zwanzig Euro einbringen könnte, mit etwas Glück bei einer Internetauktion auch mehr. Und wenn hier nicht so um die fünfzig Einzelstücke herumlagen, wollte er einen Besen fressen. Ein richtiger Haufen Kohle also, locker ein paar Tausend Euro. Rufus hatte seine vom Anblick all dieser Schätze hervorgerufene Sprachlosigkeit inzwischen überwunden und erklärte Max, dass Funde wie dieser hier zu melden wären. Sie unter der Hand zu verkaufen stellte ein Verbrechen dar, das …
» Ach halt doch die Klappe, Mann. Immer versuchst du den anderen den Spaß zu verderben«, unterbrach ihn Alex. Die Ketten noch in der Hand überlegte er kurz, wie schön es doch sein müsste, den Schwarzen jetzt und hier zu fesseln, ihm einen alten Lappen in den Mund zu stopfen und da hinten in der Ecke einfach liegen zu lassen. Alex leuchtete in eben diese Ecke.
» Da geht’s ja noch weiter!« Und tatsächlich versprach eine zweite, diesmal unverschüttete Öffnung weitere Geheimnisse in noch mehr Räumen.
Alex’ Taschenlampenrund wanderte über die Wände. Im Gegensatz zum oberen Raum hatte sich hier jemand die Mühe gemacht und die Wände verputzt, zwar nicht so ordentlich, wie es Alex’ Vater getan hätte, aber immerhin. Einige Putzhäufchen lagen am Boden, aber der Großteil klebte noch immer an den Wänden. Vor einer dieser Wände stand ein Tisch, beladen mit ein paar Krügen und Bechern aus Ton. Alex blieb davor stehen und nahm einen Krug, ein bauchiges Gefäß, dessen einzige Verzierung aus den Abdrücken der Finger bestand, die ihn einmal geformt haben mochten. In Alex’ Krug schwappte Cola, nein, besser roter Wein . Als Willkommensgruß nach seinem erfolgreichen Kampf gegen die auf der Steinegg hausenden Raubritter hatte der Graf ihm soeben den Krug überreicht und vor seinem versammelten Hofstaat angekündigt, dass Alex am Nachmittag im Festsaal der Burg zum Ritter geschlagen würde. Ritter Alex . Ritter Alexander von Roggenbach .
Alex schloss die Augen, hörte das Gemurmel und die Aufregung der versammelten Männer, Frauen und Kinder. Das war schon eine Sensation, dass ein Sitzenbleiber die Ritterwürde erhielt, das gab es nicht oft. Genau genommen hatte niemand bisher von solch einem Vorgang gehört. Allerdings hatte auch noch niemand zuvor Heldentaten wie Alex vollbracht: die Steinegger vernichtend geschlagen und quasi nebenher auch noch Svoros, den siebenköpfigen Drachen, erlegt – seine Köpfe steckten, wie auch die bärtigen und blutverschmierten Köpfe der Raubritter, auf den Lanzen und Spießen, die seine Getreuen in diesem Augenblick in den Hof trugen. Alex führte den Krug zum Mund. Es tat so unendlich gut, im Mittelpunkt zu stehen – als Held, nicht als Versager vor der versammelten Klasse. Ein Held zu sein, den alle bewunderten, nach dem man sich umdrehte und vor dem man den Blick senkte, wenn er vorüberging, noch das Blut seiner Feinde an den Kleidern. Aber jeder wirkliche Held weiß auch, dass es immer einen Neider gibt, eines dieser unfähigen Wesen, die selbst nichts auf die Reihe bekamen, in dunklen Ecken hockten und von da aus vergiftete Pfeile in die Welt hinausschossen. Und einer dieser Pfeile traf Alex’ Krug. Gerade als seine Lippen das Gefäß berührten, brach die Nahtstelle zwischen Henkel und Krug. Das Gefäß fiel und Alex hielt nur noch einen nutzlosen Henkel in der Rechten. Der Krug zerbrach vor seinen Füßen.
» He, wenn du hier alles kurz und klein schlägst, bekommen wir gar nichts mehr dafür!« Max kroch über den Boden und sammelte die Scherben ein. Plötzlich ließ er sie fallen. »Schaut euch das mal an.«
Unter dem Tisch mit all seinen Bechern und Krügen stand eine Truhe oder besser eine
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