Apfeldiebe
Schwerverbrecher!« Gänsehaut. Rufus’ Hand schlug ins Leere. Er steckte den Stöpsel zurück, es reichte, Max sehen zu müssen. Der, schon vorsorglich einen Schritt zurückgetreten, wartete vor Rufus, in der einen Hand eine Lanze, in der anderen seine Taschenlampe. Er leuchtete Rufus direkt ins Gesicht, entschlossen, damit erst aufzuhören, wenn Rufus endlich seine dämliche Musik abstellte und die ihm zustehenden drei Minuten Vorsprung in Anspruch nahm. Rufus aber reichte es. Er fand es zwar ganz interessant hier unten, aber auf Versteckspiele hatte er im Moment überhaupt keine Lust. Mutter hatte sich versteckt, das reichte.
» Ich verschwinde«, sagte Rufus schließlich und stand auf.
» Ja, endlich!«, brüllte Max. »Ihr habt genau drei Minuten und …«
» Nein, ich verschwinde richtig. Ich gehe.« Er wollte zum Gang nach oben, aber Alex versperrte ihm den Weg.
» Was soll das?! Eben hast du doch noch gesagt, dass du mitmachst! Denkst wohl, du bist was Besseres oder so?«
» Komm, hör auf und lass mich durch. Ich hab’s mir eben anders überlegt.« Aber Alex dachte nicht daran, den Ausgang freizugeben. Er verschränkte die Arme vor der Brust und blieb, wo er stand.
» Jetzt sei kein Spielverderber, Mann. Kasi macht auch mit. Ihr zwei bekommt drei Minuten Vorsprung und Max und ich suchen euch. Wird bestimmt lustig und vielleicht finden wir ja noch irgendwas Verrücktes hier unten? Los jetzt, mach einmal mit.«
Rufus und Alex standen sich gegenüber, der eine fast einen Kopf größer als der andere. Rufus wusste, dass er in einer direkten Auseinandersetzung keine Chance gegen Alex hätte, auch weil Max sich ebenfalls umgehend auf ihn werfen würde. Er sah von Alex und Max zu Kasimir hinüber. Dieser hatte den Kampf gegen den eigenen Schatten wie es aussah unbeschadet überstanden. Im Gesicht des Jungen glaubte Rufus so etwas wie Freude zu erkennen. Ja, dachte Rufus, wahrscheinlich freute er sich tatsächlich, endlich einmal mit den Großen spielen zu dürfen, einmal dazuzugehören, wenn auch nur als deren Opferlamm. Er selbst aber wollte nicht zum Altar geschleppt werden.
Rufus wollte gerade einen erneuten Anlauf unternehmen und sich den Weg nach draußen mit Worten freikämpfen, als Kasi die Augenbrauen hochzog und ehe Rufus selbst überhaupt verstand, was er da tat, nickte er. »Aber nur eine Runde«, sagte er und Kasimirs Gesicht verwandelte sich in ein einziges Leuchten. »Einmal könnt ihr uns suchen, dann hau ich aber ab.« Alex nickte.
» Abgemacht.« Er streckte Rufus die Hand hin, der nahm sie nach kurzem Zögern. »Du und Kasi, ihr könnt euch was aus dem Haufen da hinten aussuchen, dann verschwindet ihr.«
» Aber nicht nach oben!«, ergänzte Max. »Wenn einer von euch da hochgeht, habt ihr verloren.«
» Und was ist mit Timi?«
» Der bleibt hier und bewacht den Ausgang, nicht wahr, Timi?« Timi nickte, obwohl er sich bei der Vorstellung, allein hier im Dunkeln warten zu müssen, während die anderen ihr Spiel spielten, alles andere als wohlfühlte. Rufus Lampe wanderte von Alex zu dem Kleinen. Gut, sollten sie ihr Spielchen haben, er würde sich ziemlich bald an Timi vorbei nach draußen stehlen und den ganzen Kinderkram hier hinter sich lassen.
» Kasi?« Der Junge und sein Schatten zitterten. »Hast du, was du brauchst?« Kasi nickte, das Schwert in seiner Rechten gab ihm Kraft. Rufus zog eine abgebrochene Lanze aus dem Fundus.
» Was willst du mit dem kurzen Ding?«
» Dir in den Allerwertesten pieksen«, sagte Rufus. Dass eine intakte, mehr als zwei Meter lange Waffe hier unten nur hinderlich wäre, erklärte er nicht. Sollte Max doch mit solch einem Zahnstocher rumlaufen und an jeder Ecke anstoßen oder hängen bleiben, er und Kasi mussten mit den Waffen und Vorteilen kämpfen, die sie von Max und Alex unterschieden und die ihnen in der Welt da oben oft genug nur Scherereien eingebracht hatten: ihrer Größe und ihrem Grips. Hier unten könnte das zum entscheidenden Vorteil werden. Rufus pustete die Spinnweben von seiner Lanze, aus Versehen direkt in Max’ Nacken, und polierte mit seinem Ärmel die Spitze. Lust hatte er auf diesen Kinderkram immer noch nicht, aber er spürte eine nicht unangenehme Spannung in sich aufsteigen. Ein Duell mit den beiden Großen wäre immer und überall eine ziemlich unfaire Angelegenheit und wahrscheinlich dachten dies auch Alex und Max und freuten sich bereits auf ihren bevorstehenden Sieg. Hier unten aber lagen die Dinge ein wenig anders.
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