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Apfeldiebe

Titel: Apfeldiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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Fingern und nahm einen winzigen Schluck aus Kasimirs Flasche. Er stellte sie zurück und starrte auf den sich bewegenden Flüssigkeitsspiegel. Als es letzten Sommer in Teilen Afrikas über Monate hinweg nicht geregnet hatte und überall in den Zeitungen und im Fernsehen Berichte erschienen – zuerst von verhungerten und verdursteten Tieren, später von verhungerten und verdursteten Menschen –, hatten sie in der Schule eine ganze Stunde darüber gesprochen. Später wurde eine Tombola organisiert, Kuchen gebacken, dieser auf dem Supermarktparkplatz in Bonndorf verkauft und der Erlös gespendet. Aber zuvor hatten sie über das Verhungern und Verdursten gesprochen. Obwohl – gesprochen hatte eigentlich nur der Lehrer, die Kinder zugehört oder unter dem Tisch mit ihren Handys gespielt und viele in erster Linie nicht etwa Mitleid mit denen da in Afrika, sondern wohliges Desinteresse empfunden. Was ging sie das denn alles an? Hier bei ihnen, da musste niemand verdursten, das Wasser kam aus der Wand und Essen aus dem Kühlschrank. Afrika war fern.
    » Wie lange dauert es, bis man verdurstet ist?« Timi wusste noch, dass Wasser wichtiger war als Essen, aber wie lange man es ohne aushielt?
    »’ ne Woche vielleicht?«, antwortete Max. Alex zuckte mit den Schultern und auch Kasi wusste es nicht besser, aber das mit der Woche konnte hinhauen. Sieben lange Tage warten. Und dann einfach tot umfallen.
    » Ist das schlimm, wenn man verdurstet?«
    » Mein Gott, Timi, woher sollen wir das denn wissen? Von uns ist noch keiner verdurstet und wir kennen auch niemanden.« Alex’ feuchte Fingerspitze las die Krümel von seinem Rucksack auf. Anschließend schüttelte er ihn aus und legte ihn zur Seite. Das Taschenmesser aber behielt er in der Hand. Er klappte die Klinge auf und wieder zu und erneut auf.
    » Ich komm gleich wieder.« Max erhob sich. Es musste Abend sein, schätzte er und wusste, dass er mit dieser Schätzung ziemlich richtig liegen dürfte, denn mit einer erstaunlichen Regelmäßigkeit meldete sich jeden Tag so gegen fünf Max’ Verdauungssystem, ganz knapp vor dem Abendessen. Wahrscheinlich, um Platz für eben dieses Abendessen zu schaffen, schätzte er.
    » Wo willst du hin?«, fragte Alex. Max blieb stehen. Er lächelte.
    »’ ne Stange Lehm aus meinem Kreuz drücken.«
    » Hä?«
    » Ich muss mal scheißen.«
    » Jetzt?!« Sie hatten Rufus tot gefunden, wussten, dass niemand sie hier entdecken würde, hatten gerade ihr letztes Brötchen gegessen und Max musste jetzt mal?
    » Warum nicht jetzt? Hast du was Besseres zu tun?«
    » Nein, das mein’ ich nicht«, sagte Alex. »Ich frag mich nur wo, wo … na ja, wo du hingehen willst?«
    » Nach vorn, da wo wir vorhin gepinkelt haben.« Genau das hatte Alex vermutet und genau das wollte er nicht. Er hatte absolut keine Lust, die verbleibende Zeit hier zu sitzen und auf den Tod zu warten, zu tun aber gab es nur in diesem ersten Raum etwas: die Steine einen nach dem anderen wegrollen und hoffen, dass der Rest der Decke dabei hielt und sie vielleicht doch noch irgendwie nach draußen kämen.
    » Kannst du das nicht woanders machen?«
    » Und wo? Im Wald vielleicht?!« Max trat von einem Fuß auf den anderen, es eilte.
    » Außerdem liegt da Rufus.« Max’ Gehübungen kamen ins Stocken. Rufus – den hatte er total vergessen!
    » Komm mit.« Alex ging voraus in den Raum mit den Fässern. Gestern hatte er hier nach den Flüchtigen Kasi und Rufus gesucht und dabei in jede Ecke geleuchtet. Jetzt erinnerte er sich an ein kleineres Fass gleich neben dem Eingang, ein Fass ohne Deckel. Alex fand es, gemeinsam drehten sie es um und brachten es in den zweiten leeren Raum. »Bitte, da hast du dein Klo.«
    Max stieß Alex zur Seite, die Hose hing ihm bereits in Kniehöhe und in der Hand hielt er ein altes Papiertaschentuch. Er wuchtete sich auf das gut einen Meter hohe Fass, es schwankte, kippte, aber nach hinten und somit gegen die Mauer. Max’ Hände umklammerten den schmalen Rand. Zum Glück warf er seine benutzten Taschentücher niemals weg, sondern sammelte sie, zum Leidwesen seiner Mutter, in sämtlichen Hosentaschen.
    » Das klingt wie ein Betrunkener, der Posaune spielt«, scherzte Alex, als er wieder zwischen Timi und Kasimir saß. Timi versuchte ein Lächeln, das keiner sah – Alex hatte die Lampe neben Max zurückgelassen.
    » Und was machen wir jetzt?« Kasi nutzte die maxlose Situation. »Können … können wir denn gar nichts machen ?« Timi brach in Tränen aus.

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