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Apfeldiebe

Titel: Apfeldiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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ihre Bedeutung. Außer seinem Vater fiel Timi niemand ein, der diesen Tränen widerstehen konnte. Da Max jetzt also heulte, schlussfolgerte der Achtjährige, mussten Erwachsene in der Nähe sein! Wahrscheinlich benutzte er seine Tränen, um die Sache mit Kasi irgendwie geradezubiegen. Timi rannte in die Mitte des Raumes und starrte zur Decke. Aber nichts. Kein Licht, keine Stimme, nur eine schwarzes Loch, ein metertiefer Trichter und darunter ein Haufen Geröll, exakt an der Stelle, wo Kasi von der Decke gebaumelt hatte.
    » Was ist passiert?« Kasi blieb stehen. Dass Max weinte, gefiel ihm und gefiel ihm nicht. Wenn er weinte, bedeutete dies, dass es ihm nicht gut ging und daran fand Kasi nichts auszusetzen. Wenn allerdings einer der Großen heulte, einer von denen, die doch vorangehen mussten, besaß dies etwas Bedrohliches. »Was …?«
    Alex drehte sich um, richtete sich zur Hälfte auf und ehe er auch nur daran denken konnte, es zu verhindern, starrten Kasimir und Timi auf das, was da aus dem Schutt ragte: auf einen nackten Unterschenkel! Auf den nackten Unterschenkel und den Fuß eines Kindes!
    Timis erste Reaktion, die Hände vors Gesicht zu schlagen, versteckte zwar das Bild, aber er konnte es noch immer sehen. Und er sah Dinge, die er so gar nicht sehen wollte, von denen er wusste, dass sie nicht passten. Doch es gibt Momente, da machen die Gedanken einfach das was sie wollen – Erwachsene nannten so etwas Fantasie. Timi verfluchte diese Fantasie, denn sie schaffte es, dass er eine Hand sah, eine Hand, die Rufus’ aus dem Schutt ragende Fußsohle kitzelte und plötzlich stoben all die Steine und Steinchen auseinander und Rufus sprang auf, zornig, denn sie hatten ihn gefunden.
    Rufus’ Bein zog die Blicke der Kinder an wie ein Magnet, selbst Max blinzelte zwischen den vors Gesicht geschlagenen Fingern immer wieder herüber, als müsste er sich ein ums andere Mal von der Wirklichkeit dieses Albtraums überzeugen.
    » Vater unser im Himmel, geheiligt …«, Kasimir bekreuzigte sich.
    Auch Alex und dessen Lampe starrten auf dieses Bein. Bis zum Knöchel erinnerte es den Jungen eher an ein Stück Fels. Aber bei diesem Felsgrau handelte es sich nur um Staub, dort, wo bis vor ein paar Minuten noch ein Turnschuh gewesen war, konnte es jeder sehen.
    » Amen.« Kasimir bekreuzigte sich ein weiteres Mal und auch Alex’ Finger berührten die eigene Stirn, Brust und beide Schultern. Kasi sah es, obwohl er noch immer die nackte Fußsohle anstarrte. Seine Gedanken kreisten, eins kam zum anderen und Gedanke für Gedanke zeichnete sich eine Wirklichkeit ab, die keines der Kinder hier wissen, geschweige denn aussprechen wollte. Kasimir aber tat es.
    » Das ist Rufus«, flüsterte er und wieder schlug seine Rechte ein Kreuz, als habe er mit dem Aussprechen dieses Namens ein Sakrileg begangen.
    » Ja, wahrscheinlich«, sagte Alex, wusste aber genau, dass dieses wahrscheinlich nicht hierher gehörte. Rufus lag dort, es sei denn, er hatte nur ein Bein zurückgelassen und hüpfte jetzt da draußen mit einem tropfenden Stumpf den Berg hinauf nach Wittlekofen. Das da war Rufus, nicht nur ein Stück von ihm, Rufus und um ihn herum lagen sämtliche Hoffnungen der Kinder. Alle.
    » Rufus konnte also keine Hilfe holen.« Kasimir fragte nicht, er stellte fest, was Alex und die anderen gerade dachten.
    » Nein.«
    Max’ Wimmern erstarb. Er nahm die Hände vom Gesicht. Plötzlich sprang er aus seinem Versteck.
    » Das ist niemals Rufus! Ihr dürft so was nicht sagen, verstanden?! Das ist irgend, irgendein uralter Ritter oder so! Der liegt schon ewig da! Den hatten sie in die Decke eingemauert …«
    » Max.«
    » Rufus will uns nur zappeln lassen. Bestimmt sitzt er jetzt bei meinen Eltern und erzählt denen alles. Ganz bestimmt sogar und in …«
    » Max!« Alex rutschte nach unten.
    »… in ein paar Stunden sind wir draußen! Der Arsch soll nicht solche Lügen erzählen und sein blödes Gebete lassen. Das Mädchen soll aufhören, uns Angst einzujagen! Die Brillenschla …«
    » Jetzt halt die Klappe! Kasimir erzählt keine Lügen, das da ist Rufus!« Alex packte Max bei den Schultern. Wieso erzählst du jetzt auch noch solche Lügen? , fragten dessen Augen. Max wollte den Mund aufmachen, die Wahrheit herausschreien, die Wahrheit in die anderen hineinschreien, seine Kraft reichte aber nur noch für ein »Aber …«. Die Tränen schossen aus ihm heraus, sein Kopf fiel Alex auf die Schultern, noch bevor der einen Schritt zurücktreten

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