Apocalypsis 1 (DEU)
Heilige.
Unendlich schön, unendlich fern. Peter wagte nicht einmal, sie zu berühren. Maria erwiderte seinen Blick mit einem zärtlichen Ausdruck, den Peter als Nachsicht deutete. Wie gegenüber einem Kind, das eine einfache Tatsache noch nicht verstanden hatte.
Die Tatsache, dass es keine gemeinsame Zukunft gab.
Die Tatsache, dass es noch nicht einmal mehr eine zweite Nacht geben würde. Die Tatsache, dass es aus war.
»Guten Morgen!«, rief ihm sein Vater entgegen. »Zieh nicht so ein Gesicht, sondern iss erst mal was.«
Seine Mutter brachte ihm Kaffee und Spiegeleier wie früher. Ohne rechten Appetit begann Peter zu essen, behielt Maria die ganze Zeit über im Auge, bis sie verlegen wegblickte.
»Ich lass euch mal allein«, sagte sein Vater und verzog sich aus der Küche. Kurz darauf sah Peter seine Eltern Hand in Hand im Garten stehen. Sie nahmen Abschied. Ein Anblick, der ihm das Herz zerriss.
»Ich habe mit einem von Nakashimas Leuten telefoniert«, erklärte Maria leise. »Es ist bereits alles organsiert. Heute Mittag kommt ein Wagen, der deine Eltern abholt.«
Peter nickte beklommen. Die Stelle an seinem Fuß juckte.
»Was ist los?« fragte Maria.
Peter zwang sich, nicht mehr an das Jucken zu denken.
»Seth weiß, wo ich bin«, sagte er. »Er hat mich eben angerufen.«
Entsetzen ließ den Glanz in Marias Gesicht mit einem Schlag erlöschen. »Was?«
»Er will mich sprechen. Er will, dass ich einen Dr. Creutzfeldt treffe. Noch heute. In einem Hotel in Köln.«
»Du darfst da auf keinen Fall hingehen!«
»Und warum nicht?«, erwiderte er trotzig. »Es gibt keinen direkteren Weg, ein paar Antworten zu bekommen.«
»Es gibt keinen direkteren Weg in den Tod, du Idiot!«
»Na, wie schön, dass wir unsere alte Fassung wieder haben«, murmelte Peter sarkastisch.
»Was soll das denn jetzt bitte heißen?«
»Ach, vergiss es. Entschuldige.« Peter schob seinen Teller beiseite. Er hatte eine Entscheidung getroffen. »Ich werde da nicht hingehen. Ich weiß selbst, dass das eine Falle ist.«
Er legte die Ausdrucke der Bilddateien und der Namensliste auf den Tisch, die er kurz zuvor noch am Computer seines Vaters gemacht hatte. »Das habe ich auf dem Chip gefunden.«
»Das sind alchemistische Symbole«, erklärte Maria. »Die Alchemisten haben jeder Chemikalie, jeder Apparatur und jedem Prozess ein Symbol zugeordnet.«
»Woher weißt du so was?
»Mein Vater hat sich ein bisschen dafür interessiert. Er hat mir viele der Symbole erklärt, als ich klein war. Wie eine ausgestorbene Sprache.«
Peter wurde neugierig. »Dein Vater, soso. Du hast noch nie über deine Eltern gesprochen. Wieso hat sich dein Vater mit Alchemie beschäftigt?«
»Aus beruflichem Interesse. Er war … eine Art Therapeut.«
»Eine Art Therapeut? War? Geht’s vielleicht auch etwas deutlicher?«
Maria ging nicht darauf ein, sondern deutete auf verschiedene Symbole der Formel. »Hier in der ersten Ecke, das ist das alchemistische Zeichen für Quecksilber. Das da rechts oben bedeutet Schwefel, das links unten ist Königswasser zum Lösen bestimmter Metalle. Hier unten rechts haben wir den Zinnober, und dort in der Mitte unser bekanntes Kupfersymbol. Die anderen Zeichen scheinen mir für die zu verwendenden Apparate und Prozesse zu stehen.«
»Also ein Rezept? Eine Kochanweisung?«
»Kann sein. Nur ohne Proportionsangaben. Auf diese Weise schützten die Alchemisten im Mittelalter ihre ›Patente‹.«
Peter sah sich wieder die Formel an. »Was glaubst du, bezeichnet diese Formel? Das Geheimnis des Goldmachens?«
Maria zuckte die Schultern. »Das Zeichen für Gold kommt gar nicht vor. In der Alchemie geht es immer um Transformation. Die Alchemisten glaubten, die Basis der materiellen Welt sei die materia prima , eine chaotische Urmaterie, der Rohzustand der Welt, aus dem die vier Elemente hervorgegangen sind: Feuer, Erde, Wasser, Luft. Da diese Elemente gemeinsame Eigenschaften teilen, ist Umwandlung möglich. Dazu postulierten die Alchemisten ein mächtiges Mittel, das die Verwandlung eines Materials in ein anderes bewirken konnte – den Stein der Weisen . Die Alchemisten glaubten, dass auch Metalle und Mineralien, aus den vier Elementen bestehen und beliebig umgewandelt werden können. Dieser Theorie zufolge sollten durch die Vereinigung von Schwefel und Quecksilber die verschiedenen Metalle und Mineralien entstehen, je nach Verhältnis und Reinheit. In vollkommener Reinheit und vollkommenem Gleichgewicht vereint würde
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