Apocalypsis 1 (DEU)
gegeben, da die Kirche in größerer Gefahr gewesen wäre als nun. Niemand wusste das besser als Johannes Paul III.
Der Arbeitstag des Papstes begann wie immer früh um sieben Uhr mit einer Messe in der Privatkappelle des Appartamento . Sein Vorgänger hatte die Messe gerne in Anwesenheit von Gästen zelebriert, Johannes Paul III. zog den kleinen Kreis vor, nur mit seinen beiden Privatsekretären, den vier Haushälterinnen von der Gemeinschaft Communione e liberazione und seinem Kammerherrn. Nach dem Frühstück meditierte Johannes Paul III. wie jeden Morgen noch einmal in der Kapelle, bevor er sich von Alexander Duncker und Franco DiLuca, dem zweiten Privatsekretär, die Presseschau vorlegen ließ und fällige Bischofsernennungen unterzeichnete. Päpstliche Routine.
Gegen elf Uhr fuhr er mit den beiden Sekretären in dem alten, holzverkleideten Fahrstuhl hinunter in die Seconda Loggia , wo die Amtsräume des Papstes lagen. Hier wurden die Entscheidungen des Papstes zu Akten, Tischvorlagen und Memos. Hier saßen die Bürochefs, Sekretärinnen, Berater, Kammerherren und die Lateinübersetzer, die jeden Schriftwechsel in die offizielle Amtssprache des Vatikans übersetzten. Kein modernes Wort, das sich mit ein wenig Fantasie nicht ins Lateinische übersetzen ließ. Mittelstürmer wurde zu campus medius , Kondom zu tegumentum , Wodka zu valida potio slavica , und das Wochenende zu exiens hebdomada . Auf den Fluren ging es ruhig zu. Die kurialen Angestellten eilten so achtlos über die 500 Jahre alten Bodenfliesen wie anderswo über Linoleum und verständigten sich untereinander mit einem kurialen Latein-Jargon, der sich über die Jahrhunderte gebildet hatte und etwa so verständlich war wie das Nato-Englisch eines Kampfjetpiloten. Es gab zum Beispiel Dutzende von Schattierungen des Neins. Reponatur bedeutete: wird erst mal archiviert, non expedire hieß: Gewährung kann zwar erfolgen, ist aber im Augenblick nicht angebracht, in decisis et amplius sagte unmissverständlich: Die Entscheidung ist endgültig und damit basta!
Normalerweise empfing der Papst vormittags Bischöfe oder Staatsoberhäupter. An diesem Vormittag jedoch warteten zwei besondere Gäste im Empfangssalon. Heikle Gäste.
»Wie lange warten sie schon?« fragt Johannes Paul III. seinen Privatsekretär im Fahrstuhl.
»Sie sind soeben erst eingetroffen, Eure Heiligkeit. Monsignore Benini kümmert sich um sie.«
»Gut. Dann auf in die Schlacht.«
Johannes Paul III. wischte sich die Hände an seiner Soutane ab, eine schlechte Angewohnheit, die er so gut es ging verbarg.
In den Sesseln des Salons saßen drei Männer. Der eine war Monsignore Benini, langjähriger Diplomat des Vatikans, ein Muster an Verschwiegenheit und auf jedem politischen Parkett der Welt erfahren. Er saß zwischen zwei Männern, die sich nach besten Kräften ignorierten: Scheich Abdullah ibn Abd al Husseini, dem Großmufti von Saudi-Arabien, und Chaim Kaplan, dem Großrabbiner der askenasischen Juden von Jerusalem. Als Johannes Paul III. den Raum betrat, konnte er den Hass zwischen diesen beiden Männern und das Misstrauen, das ihm persönlich entgegenschlug, förmlich auf der Haut spüren. Er ahnte, dass alles noch viel schwieriger werden würde als erwartet. Einer der Vorgänger des Scheichs hatte Hitler bewundert und ihn zur Ausrottung der Juden aufgefordert. Die Eltern des Rabbiners waren in Birkenau ermordet worden. Johannes Paul III. wusste, wie sehr Kaplan die Deutschen hasste. Ein deutscher Papst musste ihm als Zynismus der Geschichte und als die größtmögliche Gefahr für das Judentum erscheinen. Gleichwohl galten beide Religionsführer als pragmatisch und modern. Das war der Hoffnungsfunke.
Monsignore Benini erhob sich diskret von seinem Platz und ließ den Papst mit seinen beiden Gästen allein.
»Meine Herren!«, begrüßte Johannes Paul III. die beiden lebhaft auf Englisch und drückte jedem von Ihnen herzlich die Hand. »Ich freue mich, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind.«
»Was soll diese Geheimniskrämerei?«, begann der Rabbiner gereizt. »Solange die Scheichs den Terror der Hamas finanzieren, werden wir uns nicht an einen Tisch mit Mördern setzen. Erst recht nicht vermittelt durch einen deutschen Papst.«
Das Gesicht des Scheichs verzerrte sich vor Wut. »Israel organisiert gerade den Genozid des palästinensischen Volkes. Und du wagst es, Jude, mich einen Mörder zu nennen?«
»Es gibt kein palästinensisches Volk!«, zischte Kaplan zurück. »Die
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