Apocalypsis 1 (DEU)
Pilgerreise nach Jerusalem mitgebracht haben, zusammen mit Splittern und Nägeln des Kreuzes Christi. Im späten Mittelalter galt die Kirche als so heilig, dass sie von Frauen nicht betreten werden durfte.
Maria suchte die Kapelle der heiligen Helena auf, die der Kirche ihren Namen gegeben hatte, da sie einst mit Boden aus dem heiligen Land bedeckt gewesen sein sollte.
Wie es aussah, war sie allein. Maria hörte weder Schritte noch Stimmen. Vorsichtig, wie auf dünnem Eis, durchschritt sie das Kirchenschiff und betete ein stummes Ave Maria gegen die Nervosität.
»Sie sind spät, Schwester Maria.«
Zu Tode erschrocken wirbelte Maria herum. Im Schatten einer Säule erkannte sie eine Gestalt, gekleidet wie ein Kapuzinermönch, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen.
»Ich wurde aufgehalten«, sagte sie fest und trat dabei einen Schritt zurück. »Pater Nikolas?«
»Haben Sie das Relikt?«
Der Mann rührte sich nicht von der Stelle. Dennoch machte er ihr Angst. Maria verfluchte sich dafür, hierher gekommen zu sein.
»Nein«, erwiderte sie und sah zum Ausgang.
»Wo ist es?«
»Geben Sie mir einen Beweis, dass Don Luigi Sie wirklich schickt, dann führe ich Sie hin.«
Ehe sie reagieren konnte, war der Mann mit der Kapuze bei ihr. Er schien fast aus dem Schatten der Säule zu fliegen. Ohne dass Maria sein Gesicht sehen konnte, packte er sie, wirbelte sie herum und drückte ihr mit stahlharten Fingern von hinten die Kehle zu.
»Wo ist es?«
Seine Stimme klang scharf, obwohl er flüsterte. Maria versuchte, sich zu befreien und um sich zu schlagen. Sie versuchte zu schreien. Doch der Mann, der sich Pater Nikolas nannte, hielt sie eisern fest und drückte ihr nun mit einer Hand alle Luft ab.
»Wo ist es? Wenn Sie schreien, töte ich Sie hier auf der Stelle.«
Er lockerte den Griff um ihre Kehle und Maria japste nach Atem. Verzweifelt überlegte sie, was sie dem Mann sagen sollte.
»In meiner Zelle im Kloster.«
Der Mann drückte ihr erneut die Kehle zu. Maria geriet in Panik.
»›Du sollst nicht lügen‹. Lügen Sie mich nicht an, Schwester. Ich kann Lügen riechen.«
Verzweifelt überlegte Maria, was sie tun konnte, was sie dem Mann sagen sollte. Sie wollte das Amulett nicht preisgeben. Aber sie wollte auch nicht sterben.
»Ich werde Sie hinführen«, gurgelte sie, als der Mann die Hand wieder von ihrer Kehle nahm. Plötzlich spürte sie kalten, scharfen Stahl an ihrer Kehle, und die Todsangst durchflutete nun ihren ganzen Körper.
»Nein«, sagte der Mann. »Ich werde Sie jetzt töten, Schwester. Doch vorher werden Sie mir noch verraten, wo Sie das Relikt versteckt haben. Wenn ich Ihnen glaube, dann wird Ihr Tod schnell sein, Sie werden es kaum merken. Wenn ich aber rieche, wie aus Ihrem Mund die Lüge sickert wie Schleim aus krankem Gewebe – dann werde ich sie sehr qualvoll töten. Ich werde Ihnen die Haut abziehen, Schwester Maria. Von den Zehenspitzen bis zu Ihrem schönen Hals. Schmerzen, Schwester Maria, wissen Sie, was Schmerzen sind?«
Maria keuchte in Panik, sie zitterte jetzt unkontrolliert.
»Bitte!«, wisperte sie. »Bitte nicht.«
»Wo ist es?«
Maria hatte keinen Zweifel mehr, dass der Mann tun würde, was er ihr androhte. Christus war qualvoll am Kreuz gestorben, verblutet, verdurstet, mit gebrochenen und ausgekugelten Gliedern in der judäischen Hitze verreckt. Aber Christus war Gottes Sohn gewesen, stark und rein, und sie war nur noch ein Bündel keuchender, schwitzender Angst.
Der rasenden Angst vor Schmerzen.
»Ich werde nicht lügen, ich schwöre bei unserem Herrn Jesu Christi, ich werde nicht lügen.«
»Das ist gut, Schwester Maria. Wo ist es?«
»Ich werde nicht lügen, aber ich werde auch nichts sagen«, keuchte Maria. Denn trotz der Panik und der Todesangst wurde ihr eines klar: Dieser Mann würde sie ohnehin töten. Ob sie das Amulett verriet oder nicht – sie war bereits tot. Was machte es noch für einen Unterschied, auf welche Weise sie sterben würde?
Nikolas neigte seinen Kopf etwas vor und schien an ihr zu schnüffeln. Lange. Unendlich lange.
»Ich verstehe. Also gut, Schwester Maria. Das Licht sei mit dir.«
Sie spürte, wie seine Hand sich anspannte für den tödlichen Schnitt. Maria betete zur Heiligen Jungfrau.
Dann fiel der Schuss.
Er zerfetzte die Stille in der Kirche, rollte knirschend durch das Kirchenschiff, brandete über den Altar hinweg und fegte durch die seitlichen Kapellen. Maria spürte nur, dass die Klinge ihren Hals nicht mehr berührte.
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