Apocalypsis 3 (DEU): Collector's Pack. Thriller (German Edition)
November 2013, Bar Sant’Eustachio, Rom
Seit zwei Wochen sah sie ihn jetzt schon jeden Tag. Jeden Tag zur gleichen Zeit kam er in die kleine Bar zwischen Senat und Pantheon, die inzwischen in fast jedem Reiseführer erwähnt wurde, und trank einen caffè con panna . Immer in Begleitung einer jungen Frau um die zwanzig. Er sah gut aus, sie schätzte ihn auf Mitte vierzig. Sein kurzgeschnittenes, schlohweißes Haar, das in einen ebenso kurzen Vollbart überging, ließen ihn auf den ersten Blick sogar noch älter wirken, aber als sie einmal einen genaueren Blick durch die Spiegel in der Bar riskierte, sah sie, dass er überraschend junge Augen hatte. Jung, aber unendlich traurig. Irgendein großer Kummer belastete ihn, als habe er einen furchtbaren Verlust erlitten.
Dabei lachte er durchaus oft. Sie hatte beobachtet, wie er mit der jungen Frau an seiner Seite scherzte, etwas zu ihr sagte, und wie sie ihm dann lachend kurz auf den Kopf patschte, als habe er sie auf den Arm genommen. Meist kamen sie Hand in Hand in die Bar und verließen sie auch so wieder, als könnten sie nicht voneinander lassen. Sie küssten sich bloß nie.
Sie selbst fand Männer mittleren Alters mit jungen Frauen vor allem lächerlich. Zumindest ärgerlich, denn jedes Mal stellte sie sich die gut aussehenden, klugen und erfolgreichen Mittvierzigerinnen vor, die mit den gemeinsamen Kindern von ihren Männern in der Midlife-Crisis für eine Jüngere sitzen gelassen worden waren. Aber bei diesem Paar war es anders. Sie wirkten viel inniger. Als ob sie sich schon ein Leben lang kennen würden.
Seit zwei Wochen sah sie ihn jeden Tag. Und nicht nur in der Bar, dort hatte sie ihn nur zufällig entdeckt in einer ihrer Mittagspausen. Aufgefallen war ihr der Mann während der Arbeit im Pantheon. Jeden Morgen kam er dorthin, wie immer in Begleitung seiner jungen Freundin, und setzte sich auf einen mitgebrachten Campinghocker an den Rand. Er kam noch vor der offiziellen Öffnungszeit, lange vor den Touristenströmen. Das Pantheon war um diese Zeit eigentlich noch geschlossen, aber irgendwer ließ ihn jeden Tag hinein. Als sie Rubini, den Hausmeister, danach fragte, zuckte er nur mit den Achseln, rief ›Beh!‹ und behauptete, den Mann noch nie gesehen zu haben. Eine glatte Lüge, denn der Mann kam jeden Tag zur gleichen Zeit, um auf seinem Klapphocker eine Stunde den Fußboden anzustarren, als ob der ihm seinen Verlust ersetzen könne. Seine junge Freundin schlenderte derweil herum oder ließ ihn manchmal auch kurz alleine zurück. Manchmal kam auch ein roter Straßenkater vom Platz herein, legte sich neben ihn, ließ sich aber nie von ihm kraulen. Seltsames Bild, fand sie, als ob die beiden eine unangenehme Erinnerung teilen würden.
Obwohl ihre Arbeit im Pantheon eigentlich nach zwei Tagen erledigt gewesen war, kam sie weiterhin jeden Morgen und beobachtete den Mann heimlich von oben durch eines der Innenfenster im ersten Stock. Wenn Messen in der Rotunde abgehalten wurden, saß er immer in der letzten Reihe und betete. Manchmal in Begleitung seines Zwillingsbruders und dessen Freundin. Die Ähnlichkeit der beiden war verblüffend, es mussten Zwillinge sein. Sie konnte sie gut auseinanderhalten, denn der Zwillingsbruder trug stets schwarze Anzüge und hatte eine ganz andere Ausstrahlung. Was für seinen Bruder der Kummer, war für ihn der Schmerz. Seine Freundin war sehr schön, sie konnte Südeuropäerin sein oder Orientalin. Sie waren sehr innig miteinander, küssten sich auch manchmal, aber immer umwehte beide etwas Düsteres.
Der Mann dagegen, den sie jeden Tag sah, trug meist Jeans, ein helles Hemd und ein blaues Jackett, manchmal sogar ein buntes Poloshirt. Der Standardlook der römischen Männer. Stand ihm aber gut, fand sie, auch wenn er kein Italiener war, sondern Deutscher. Sie hatte ein paar Gesprächsfetzen in der Bar zwischen dem Mann und seiner Freundin aufgeschnappt. Sie war neugierig gewesen. Kein Wunder.
Seit zwei Wochen sah sie den Mann nun schon im Pantheon und in der Bar um die Ecke. Tatsächlich aber hatte sie ihn schon davor in ihren Träumen gesehen. Vielmehr in dem einen immer wiederkehrenden Traum, der sie seit Wochen heimsuchte. Und das machte ihr Angst und hatte sie bislang gehemmt, den Mann einfach anzusprechen.
Aber gestern war er zum ersten Mal nicht ins Pantheon gekommen. Nicht am Morgen und auch nicht danach. Sie hatte kaum arbeiten können vor Unruhe und immer wieder zwischendurch die Menge der Touristen nach ihm und
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