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Apocalyptica

Apocalyptica

Titel: Apocalyptica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Graute
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fror. Dunkelheit begann, ihn einzuhüllen, und Naphal konnte sich selbst die Frage nicht beantworten, ob es mit dem Einbrechen der Nacht oder mit der Schwere seiner Lider und dem Fieber zusammenhing. Er fühlte sich unendlich einsam.

    Lâle schlug die Augen auf. Sie fühlte sich leer und ausgetrocknet wie ein altes Stück Brot. Sie hatte gehofft, alles, was in den vergangenen Stunden geschehen war, sei nur ein böser Traum gewesen. Sie konnte nicht mit Sicherheit sagen, wie lange sie ohnmächtig gewesen war, doch nachdem sie ihre Umwelt wieder klarer wahrnahm, erkannte sie, dass der Wanderer sich nicht bewegt hatte, seit sie das Bewusstsein verloren hatte. Sein Gefolge war nicht zu sehen. Hektisch blickte sie sich in dem kleinen Zimmer um, das sie gemeinsam mit ihrer Tochter bewohnte. Schawâ war fort. Ruckartig schnellte Lâle von ihrem Bett hoch und bezahlte den Entschluss mit einem heftigen Schwindelanfall, der ihr bittere Galle in den Mund trieb. Dann entspannte sie sich, als sie die Kleine draußen im Garten lachen hörte. Es ging ihr offensichtlich gut. Der hochgewachsene Mann mit dem dichten Vollbart und dem langen glatten Haar beobachtete sie aufmerksam, machte jedoch keine Anstalten, das Gespräch fortzusetzen. Nur seine Augen, seine wundervollen leuchtenden Augen, folgten jeder ihrer Bewegungen aufmerksam.
    „Hatte ich jemals eine Wahl?“, durchbrach Lâle endlich das Schweigen, das zwischen den beiden hing wie eine dräuende Regenwolke an einem warmen Sommertag.
    „Ihr habt immer eine Wahl“, antwortete der Wanderer gewohnt knapp. Als er in den Augen der Frau erneut Zorn aufwallen sah, fügte er jedoch an: „Es ist nur nicht immer leicht für euch, zu erkennen, was ihr wirklich wollt.“
    „Ich wollte wissen, wer mich in all das hineingezogen hat – damals.“ Lâle spielte auf die Ereignisse im Himmel der Ragueliten zu Trondheim an. Damals war der Wanderer aus dem Nichts aufgetaucht, um die Bewohner des Himmels zu warnen. Lâle war nur durch Zufall anwesend gewesen, weil sie ihren Bruder Rabe wiederfinden wollte und sich in den Luftschächten versteckt hatte. Der Wanderer hatte sie dennoch bemerkt und ihr, weil ihm offensichtlich niemand sonst Glauben schenken wollte, das Pandoramicum in die Hand gedrückt, um den Himmel mit allem, was darin war, zum Einsturz zu bringen. Irgendwie sollte das die Geheimnisse, die die Ordensfeste der Bewahrer der Technik beinhaltete, davor bewahren, in die Hände des Herrn der Fliegen zu fallen. Sie hatte getan, was der Wanderer verlangte und war seither nicht mehr von ihm losgekommen. Sie hatte ihm einfach folgen müssen, hatte überall in Europa nach ihm gesucht und dann, eines Tages, hatte sie ihn, nein, hatte er sie gefunden.
    „Dennoch hattest du eine Wahl, zu jeder Zeit. Du hättest nicht das Horn benutzen müssen, und du hättest mir nicht zu folgen brauchen. Dein Wille lenkte dich.“ Lâle konnte nicht die geringste Regung in den Zügen des Mannes ausmachen. Seine Worte klangen schulmeisterhaft und erlernt, beinahe, als hätte der Wanderer im Grunde keine Ahnung, worüber er eigentlich redete. Als habe er nie selbst vor einer derartigen Entscheidung gestanden. Er hatte recht, das war der Frau in dem Augenblick klar, als sie die Worte aus seinem Munde vernahm, aber dennoch klang es unehrlich. Vielleicht war er wirklich nicht in der Lage zu begreifen, was es hieß, jeden Tag folgenschwere Entscheidungen treffen zu müssen. Wenn es stimmte, was er und seine Gefährten erzählt hatten, dann konnte es schon sein, dass Menschen und Engel sich so stark voneinander unterschieden, dass ihnen die Bedeutung von freiem Willen und Ähnlichem unbekannt waren. Sie kannten diese Dinge nicht aus Erfahrung, sie wussten einfach, dass es so war.
    „Warum ausgerechnet ich?“ Lâle wollte noch nicht klein beigeben. Sie hegte die Hoffnung, alles endlich begreifen zu können. Wenn man sie bereits an solch erschütterndem Wissen teilhaben ließ, dann wollte sie auch alles wissen.
    „Du warst da und wolltest es tun.“ Der Wanderer erhob sich. Er wirkte in dem engen Raum deplatziert.
    Lâles Augen weiteten sich. Sie spürte, wie Kraftlosigkeit, Zorn und Angst sie zu übermannen drohten. „Ich war da? Willst du damit sagen, es hätte auch jeder andere sein können, und ich war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort?“
    „Du warst zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Genau da, wo du sein wolltest.“
    „Gut, ich habe verstanden.“ Lâle schob die Unterlippe trotzig vor wie

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