Apocalyptica
Beschaffenheit des feindlichen Heeres vor, und das Risiko, dass wir in eine Falle tappen, ist, mit Verlaub, viel zu hoch. Darüber hinaus ist für mich noch nicht klar, ob die Diener Gabriels auf unserer Seite in die Schlacht einzugreifen gedenken.“
Mit dieser Aussage hatte der Engel einen wunden Punkt getroffen, denn von einer Sekunde auf die nächste verwandelte sich das Auditorium in einen Pulk aufgescheuchter Hühner, die wild durcheinanderredeten, ihr Entsetzen ob einer solchen Annahme zum Ausdruck brachten oder schlicht mit ihrem Banknachbarn stritten. Es bedurfte erneut wiederholter Rufe zur Ordnung und der Unterstützung der Ratsgarde, um Ruhe einkehren zu lassen.
Der Samaelit hatte den Gesandten der Gabrieliten während seiner Ausführungen im Blick behalten und auf jedes Detail seiner Mimik geachtet. Er spürte, wie sich der bärtige Mann mit dem dunklen Haarkranz in die Ecke gedrängt fühlte. Er war wie Midael nicht darauf vorbereitet gewesen, einen wichtigen Part in dieser Versammlung zu übernehmen, war nicht als Entscheidungsträger angereist, sondern als Bote. Von ihm konnte der Samaelit wenig Unterstützung erwarten, und die Versammlung durfte nicht hoffen, von ihm über die Entscheidungen Em Susats aufgeklärt zu werden.
„Ich hoffe, dir ist bewusst, dass dein Gerede Hochverrat bedeutet, Midael.“ Der Kopf des Engels ruckte zu dem Konsistorialkardinal herum. „Du stellst die Weisheit und die Beschlüsse Seiner Heiligkeit und des Konsistoriums in Frage.“ Zu Gemmingen hatte ihn da, wo er ihn die ganze Zeit über hatte haben wollen.
„Ihr wisst, dass das nicht wahr ist, hochehrwürdige Eminenz. Ich gab lediglich zu bedenken, dass wir keine Ahnung haben, was uns erwartet und wir geschwächt sind.“ Midael straffte sich, als erwarte er jeden Augenblick einen Angriff.
Statt sich auf eine Diskussion mit dem Samaeliten einzulassen, wandte sich Johannes zu Gemmingen direkt an die Versammlung und spielte damit einen weiteren Trumpf aus. „Unser geschätzter Bruder und Ab Midael scheint zu glauben, die göttliche Ordnung sei in Gefahr und es sei möglich, dass sich im Angesicht der Endschlacht Bruder gegen Bruder stellt. Er glaubt, der Ratschluss Seiner Heiligkeit und des Konsistoriums sei unbedacht und überhastet gefasst worden. Wir glauben, die schwere Zeit, die unser Bruder hinter sich hat und die nur allzu offensichtliche Spuren an ihm hinterlassen hat, hat ihn stärker mitgenommen, als er selbst sich eingestehen mag. Daher soll er sich weiterhin ausruhen und die schwerwiegenden Entscheidungen dieser Tage in erfahrenere Hände legen. Ich denke, jeder der hier Anwesenden hat vollstes Verständnis für seine Situation und wird es ihm nicht übelnehmen, wenn er sich zurückzieht. Seine Heiligkeit ist sicher bereit, die unbedachten Worte des Abs der Samaeliten zu vergessen und ihm nicht gram zu sein. Wir leben in schwierigen Zeiten und müssen zusammenstehen.“
Midael war völlig überrumpelt. „Ihr wollt mich unter Hausarrest stellen? Weil ich berechtigte Zweifel geäußert habe?“ Zu Gemmingen hob die Hand, um dem Engel am Weiterreden zu hindern.
„Du solltest die Geduld Seiner Heiligkeit nicht über Gebühr strapazieren. Die Garde wird dir helfen, wohlbehalten in deine Gemächer zu gelangen.“ Ohne eine weitere Geste setzten sich auf den oberen Rängen die Wachen in Bewegung.
Ein taubes Gefühl breitete sich in Midael aus, und als er sich ungläubig nach Unterstützung heischend unter den Anwesenden umsah, wurde ihm klar, dass er keine Hilfe bekommen würde. Die Falle war zugeschnappt. Im Laufe der vergangenen Jahre hatte er sich mit seinem Führungsstil mehr Feinde als Verbündete unter den Mächtigen Europas geschaffen. Er war als Stimme der Vernunft von Korsika zurückgekehrt. Sein Orden galt als Bewahrer der Werte. Doch was waren das für Werte? Werte einer vergangenen Zeit, als Ehre und Aufrichtigkeit noch etwas bedeuteten? Midael konnte nicht glauben, dass gerade die, die ihn zurückgeholt hatten, sein Streben unterbanden. Ein Gefühl aus einer längst vergangenen Zeit keimte in dem Engel auf. Ein Gefühl, das er zusammen mit Angst und Hass tief in seinem Herzen vergraben zu haben geglaubt hatte. Es bäumte sich in ihm auf und zerrte an seinen Ketten. Der Samaelit versuchte, es auf die gewohnte Art zu bekämpfen. Sein Atem verlangsamte sich, er entspannte die Muskeln. Er öffnete die Augen wieder und sah direkt ins Antlitz Kardinal zu Gemmingens, der ihm ein Lächeln schenkte
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