Apocalyptica
Erschreckende auf dieser Welt ist von Übel.“
Das Allerheiligste der Angelitischen Kirche machte einen verwaisten Eindruck, als Em Susat mit ihrem engsten Beraterstab unter Führung Equesters von Tübingen dem Magister-Armatura durch die prunkvoll ausgeschmückten Eingeweide des Lateran folgte. Ihre Drohung, mit den Engeln über den Sitz des Pontifex Maximus und des Konsistoriums herzufallen und sich gewaltsam Zutritt zu verschaffen, hatte Wirkung gezeigt. Der Magister-Armatura war sichtlich pikiert über das Verhalten der Em, hatte jedoch weder ihrer Autorität noch ihrer waffenmäßigen Übermacht etwas entgegenzusetzen und ging daher den Weg des geringsten Widerstands. Das einzige Zeichen seiner Missbilligung war sein sauertöpfischer Blick, den er dafür aber auch überstrapazierte. Em Susat war es einerlei. Ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf die Aufgabe, die vor ihr lag. Die Machenschaften des Pontifex und seiner Kardinäle mussten ein Ende haben. Das Edikt Seiner Heiligkeit, die Neugeborenen in Europa dem Tode zu überantworten, hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. Das Oberhaupt der Gabrieliten zu Nürnberg war beileibe nicht zimperlich, wenn es darum ging, die Interessen des Ordens zu wahren. Susat hatte ihren Geschwisterorden Land abgerungen, um den Bedarf ihres Volkes zu decken. Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte waren immer mehr Flüchtlinge in die Metropole der Todesengel gekommen und hatten um Schutz und Unterschlupf gebeten. Während die restlichen Orden nur ihren Vorteil und ihren Hochmut im Sinn hatten, mussten die Diener Gabriels die Drecksarbeit im Reich erledigen. Susat hatte sich nie beschwert, sondern war tätig geworden. Beim Europakonzil 2655 hatte sie nach zähem Ringen Rechte zugesprochen bekommen, die ihr Handeln untermauerten und stützten. Bei aller Härte war sie stets eine treue und loyale Dienerin des Herrn und seines Vertreters auf Erden, des Pontifex Maximus Petrus Secundus, gewesen. Daher hatte der Entscheid des Kindsmords sie als eines der Oberhäupter der Engelsorden auch wie ein Hammerschlag gegen die stolzgeschwellte Brust getroffen. Die Ewige Stadt hatte Hochverrat begangen. Die Machthaber der angelitischen Metropole hatten eine uralte Aufgabe, die ihnen Gott persönlich erteilt hatte, in den Staub getreten. Die Zweite Flut und der Veitstanz hatten gezeigt, was ein Handeln gegen den Willen des Herrn anrichten konnte. Die Gabrieliten würden sich an diesem Verrat nicht beteiligen.
Mit dumpfem Knirschen öffneten sich die goldverzierten Doppelflügel des Portals zum Kongregationssaal. Die Schritte der Neuankömmlinge hallten laut von den Wänden des ansonsten leeren Saales wider.
Nachdem die Em ihren Blick einmal nach rechts und dann wieder nach links hatte schweifen lassen, ohne eine Person im Raum zu entdecken, die sie in Empfang nahm, wandte sie sich wieder dem Magister-Armatura zu: „Ich nehme nicht an, dass das ein Witz sein soll?“
„Verzeiht, hochehrwürdige Em, doch eure Ankunft war unerwartet“, erwiderte der immer noch beleidigte Mann schnippisch.
„Heb dir deinen Geifer für andere auf, Magister-Armatura, oder ich schneide dir höchstpersönlich die Zunge aus dem Schandmaul“, sagte die Em mit gefährlicher Gelassenheit. „Sorge dafür, dass ich mir nicht vorkommen muss wie eine einfache Bittstellerin, die man warten lässt.“
Der Kiefer des verdatterten Mannes klappte wortlos, aber geräuschvoll zu. Er sah dabei aus wie ein Karpfen, der auf dem Trockenen nach Luft rang. Equester von Tübingen unterdrückte beim Anblick des bestürzten Würdenträgers erfolglos ein breites Grinsen.
„Jawohl, hochehrwürdige Em“, presste der Magister verdrießlich zwischen den Lippen hindurch. Mit hochrotem Gesicht machte er auf dem Absatz seiner üppig verzierten Sandalen kehrt und verließ so würdevoll, wie es einem geprügelten Hund eben möglich war, den Raum.
Trotz der Drohung der Em dauerte es geraume Zeit, bis die Tür sich erneut öffnete. Susat, die es sich inzwischen auf einem der Ratssessel des Konsistoriums bequem gemacht hatte, machte keine Anstalten, sich zu erheben, als eine einzelne Person den Raum betrat.
Konsistorialkardinal Johannes zu Gemmingen machte einen ausgesucht liebenswürdigen Eindruck. Wer den Obersten Kardinal jedoch besser kannte, konnte erkennen, dass er unter der Fassade dieser Freundlichkeit vor Zorn kochte.
„Meine Liebe. Ihr müsst verzeihen, dass ich Euch so lange habe warten lassen, aber wir waren nicht auf Euren
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