Apocalyptica
Wolkenschleier. Erneut schien Auriel das Spiel von Wind und Wetter wie ein böses Omen für den Ausgang der Schlacht. Ein kurzes Aufflackern goldenen Lichts, gefolgt von grauer Finsternis. War das das Schicksal der Menschheit?
Mit dröhnendem Donnern stimmten Tausende Hörner einen langgezogenen Schlachtruf an, gefolgt von den glockenklaren Stimmen hunderter Kehlen, die ihr Dasein auf Erden einzig diesem Zweck verschrieben hatten. Der Gesang der Sarieliten war Balsam für die Gemüter aller, Engel wie Sterbliche. Er formte sich zu einer Reihe perfekt aufeinander abgestimmter Harmonien, die nicht von dieser Welt zu sein schienen. Auriel lächelte. Ihr Griff um die Lanze wurde fester, dann stieß sie sie mit einer ruckartigen Bewegung in Richtung des Feindes und sendete den Befehl zum Angriff.
Wie ein Bienenschwarm, der einen viel größeren Angreifer von seinem Stock fernzuhalten versucht, fielen die Scharen der Engel aus allen Richtungen in die wimmelnde Masse aus Schwärze, die sie bald darauf verschluckte. Der Ansturm von Informationen in Auriels Kopf war überwältigend. Der Engel wankte. Nie zuvor hatte die Michaelitin eine solche Flut von Befehlen und geistigen Hilferufen verarbeiten müssen. Beinahe wäre ihr die heilige Lanze aus der Hand geglitten, und sie musste hastig nachfassen, um sie daran zu hindern, über die Kante der gigantischen schwebenden Plattform in die Tiefe zu stürzen.
Am Boden, tief unter ihr, lösten sich kleine graue Rauchschwaden, als die Templertrupps riesengroße Geschütze aus der Zeit Davor in Stellung brachten und in die schwarzglänzende Masse feuerten. Die donnernden Geräusche der Entladungen drangen mit einiger Verspätung in Auriels Ohren, und das Sirren und Zischen der Geschosse, als sie an ihr vorbeizogen und in dem brodelnden Hexenkessel verschwanden, wirkte fremdartig und furchteinflößend.
Dem Engel war bewusst, dass es ein Wagnis war, die Scharen durch Feuer aus den eigenen Reihen in Gefahr zu bringen, doch konnte ihre Strategie nur aufgehen, wenn es ihnen gelang, in kürzester Zeit möglichst viel Verwirrung in den Reihen des Feindes zu stiften. Danach konnten sie, zumindest war das ihr Plan, die versprengten Dämonen einen nach dem anderen zu Fall bringen. Ähnliche Kriegslisten wurden bereits seit Jahrtausenden angewandt und hatten in vergleichbaren Situationen meist Erfolg gezeigt. Die Heerführerin konnte nur hoffen, dass der Herr auf seine Kinder achten würde.
Was Auriel in diesem Augenblick am meisten Sorge bereitete, war der Umstand, dass es zwar eine schier unvorstellbare Masse an Feinden gab, jedoch keinen klar erkennbaren Anführer, der sie befehligte. Sollte er sich mitten unter ihnen befinden? Schützten seine Lakaien ihn mit ihren widerlichen Leibern? Oder war er wie sie nur Zaungast bei dem Schauspiel und sah aus sicherer Entfernung dem Spektakel zu?
Salve um Salve der tödlichen Geschosse vom Boden bohrten sich in die Traumsaatmasse und detonierten mit dumpfem Dröhnen inmitten der dämonischen Brut, ohne auch nur den Anschein zu erwecken, irgendetwas zu bewirken. Die Michaelitin haderte mit dem Schicksal ihrer Geschwister. Wenn die Situation sich nicht bald änderte, waren die Engel im Inneren des Dämonenpulks nicht mehr als Kanonenfutter. Rief sie sie jedoch zu früh zurück, hatten sie möglicherweise nie wieder die Chance, einen zweiten Angriff durchzuführen. Noch nie hatte die Michaelitin sich so einsam gefühlt. Kalter Schweiß stand auf ihrer Stirn, und ihre Augen glänzten angesichts der Belastung fiebrig. Ihr Kopf dröhnte, und ihr schien es, als drohe er zu zerplatzen. Lange würde sie die Informationen und Botschaften nicht mehr im Zaum halten können. Ihr Gehirn war an der Belastungsgrenze. Noch nie war es dazu gekommen, doch jetzt, wo ihr Einsatz und ihr Funktionieren über Wohl und Wehe der Menschheit entschieden, begann ihr Körper, ihr den Dienst zu versagen.
Abbruch , sendete sie in alle Köpfe. Aus ihrer Nase sickerte ein dünnes, rotes Rinnsal. Blut befleckte ihren ansonsten makellos weißen Kriegsrock, als sie es ignorierte. Mit einiger Verspätung reagierten die Engel. An zahlreichen Orten im Schlachtengetümmel lösten sich winzige helle Flecke von dem dunklen Hintergrund und strebten dem Sammelpunkt entgegen, der sich in einiger Entfernung schräg links oberhalb von Auriels Standort befand. Vielen Engeln fiel es sichtlich schwer, sich aus der Masse von Traumsaatdämonen zu befreien. Aus der Ferne wirkte es, als steckten
Weitere Kostenlose Bücher