Apocalyptica
bei näherer Betrachtung als ihr Untergang. Über den Bergen im Osten baute sich eine schwarze Wand auf, die sich ihnen näherte. Mehr Traumsaat.
Der Schatten der fernen Streitmacht wälzte sich über den Berghang und gab Auriel eine ungefähre Vorstellung davon, wie groß das neuerliche Heer war, das den übrigen Dämonen zur Hilfe eilte.
„Als hätten sie Hilfe gebraucht“, murmelte die Michaelitin halblaut. Mit kurzen Worten schilderte sie die veränderte Situation ihrem Stab. Die sterblichen Führer der Truppen, die nicht in der Lage waren, Auriels Botschaften zu vernehmen, wurden von in der Nähe befindlichen Michaeliten in Kenntnis gesetzt. Die Michaelitin brauchte ihre Macht nicht, um die Bestürzung in den Gesichtern der anderen auch über die teils große Distanz hinweg zu erkennen.
Aus dem Augenwinkel nahm Auriel eine Bewegung wahr. Myriel, der erste Engel der Samaeliten, war neben ihr auf der schwebenden Plattform gelandet und hielt respektvoll Abstand. Die dunkelhaarige Samaelitin sah nicht weniger mitgenommen aus als die meisten ihrer Geschwister. Ihr roter Kriegsrock jedoch verbarg das Offensichtliche. Nur die zahlreichen feuchten Stellen darauf zeigten, dass auch sie aus vielen Wunden blutete.
„Was gibt es?“, fragte die Michaelitin brüsk. Sie hatte keine Zeit für Einzelschicksale, und überdies war sie keine große Freundin der Samaeliten. Mit ihrem Auftauchen hatte das Unheil seinen Anfang genommen, dessen war Auriel sich sicher.
„Ich habe den Schatten gesehen, der über die Berge auf uns zukommt. Wenn wir hierbleiben, werden wir zwischen den Fronten zermalmt.“ Die Stimme der Samaelitin, die ihr Gegenüber um fast zwei Köpfe überragte, war ruhig und gefasst.
„Denkst du, das hätte ich nicht selbst gesehen, Schwester?“ Das letzte Wort glich eher einer Beleidigung denn einer höflichen Anrede, und trotz der Hitze des Gefechts konnte man den Eindruck gewinnen, dass die Temperatur um die beiden Engel merklich sank.
„Verzeih, Auriel, ich wollte nicht dein Urteilsvermögen oder deine Weitsicht in Frage stellen, sondern nur etwas Konstruktives zur Lösung des Problems beitragen.“ An Myriels Stimme war nicht abzulesen, ob sie die Spitze ihres Gegenübers ignorierte oder unter den gegebenen Umständen schlicht nicht wahrgenommen hatte.
„Sag, was du zu sagen hast“, entgegnete Auriel genervt.
Doch auch diesmal schien die Samaelitin sich nicht von der unterkühlten Art ihrer Anführerin aus der Ruhe bringen zu lassen. „Wenn wir uns mit den Bodentruppen vereinen und in ihrer Nähe kämpfen, haben wir einen besseren Überblick und können die Artillerie besser einsetzen. Zieh die Scharen zurück und lass den Feind angreifen.“
„Das ist ein törichter Vorschlag. Wenn wir die Truppen vereinen, sind wir leichte Beute für einen Generalangriff des Feindes. Er würde uns überrennen und mit einem Schlag außer Gefecht setzen. Der Kampf wäre schneller vorbei, als wir ,Flieht!‘ rufen könnten.“
„Ist das die Meinung aller?“ Die Samaelitin verschränkte die Arme vor der Brust, als wolle sie damit ihrer Unnachgiebigkeit in dieser Sache Ausdruck verleihen.
Die Michaelitin hatte sich schon wieder halb umgedreht, um sich ihrer Aufgabe zu widmen, fuhr bei diesen Worten jedoch wie eine Furie herum. „Was glaubst du eigentlich, mit wem du sprichst? Ich benötige keine Ratschläge der Bewahrer der Werte, um den Überblick zu behalten. Wir haben die Taktiken und Strategien im Vorfeld zur Genüge diskutiert.“
„Da kannten wir die Fakten jedoch noch nicht.“ Myriel schien nicht zu merken, wie sie ihre Anführerin bis aufs Äußerste reizte – oder sie legte es darauf an.
Auriel spannte sich wie eine Raubkatze, bereit, zum tödlichen Sprung anzusetzen. „Du solltest jetzt besser verschwinden“, knurrte sie.
Myriel unterbrach das Blickduell zwischen ihnen. Nicht aus Furcht vor der Michaelitin oder als Eingeständnis ihrer Niederlage, sondern weil sie sich ein Bild von ihrer Lage machen wollte. Ihr Blick glitt zunächst über die Küstenlinie Cordovas und die zahlreichen Stellungen am Boden, wo sich ihre Truppen heftige Gefechte mit Dämonen lieferten, die entweder nicht in der Lage waren zu fliegen oder sich ihnen aus der Luft zugewandt hatten, nachdem die Templer die Traumsaat unter massiven Beschuss genommen hatte. Von dort aus schaute sie in Richtung des dräuenden Schattens, der über die Berge auf sie zukam und schließlich auf ihre eigene Armee.
Myriel sah in die
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