Apokalypse auf Cythera
darauf, daß der Mörder einer von uns war.«
Sie merkte das leichte Zögern nicht, das Stapen vor dem vorletzten Wort befallen hatte.
»Ich komme und helfe Ihnen!« erklärte sie hastig. »Ist Rufer bei Ihnen?«
»Nein«, erwiderte Stapen höflich und schüttelte den Kopf. »Er versprach zu kommen.«
Sie hob die Hand und lächelte ihn entschuldigend an.
»Ich bin in ganz kurzer Zeit bei Ihnen und unterstütze Sie!« sagte das Mädchen. Noch ehe er etwas erwidern konnte, schaltete sie ab. Stapens Finger begannen zu zittern. Sein Versteck war nicht nur unbrauchbar geworden, er hatte auch viel zu früh eine neue Spur gelegt.
In rasender Eile beseitigte er das Tau, trug die Polster zurück, wischte seine Spuren ab, ergriff seine Tasche und ging zur Tür.
Er befestigte die Platte wieder, nachdem er seine Sperre aufgehoben hatte. Nun kam ein schwieriger Augenblick. Er mußte sich unerkannt in den Strom der Passanten einreihen.
Die Tür glitt hoch.
Er sah sich um, horchte auf Geräusche, aber das Stück Korridor vor der Passage war leer. Er schlüpfte hinaus, seine Finger krampften sich um den Kolben der Waffe unter seiner Jacke. Einen Augenblick lang erhaschte er in einer spiegelnden Glasscheibe einen Blick in sein Gesicht. Er sah wie ein flüchtender Mörder aus. Ein Geräusch hinter ihm! Er fuhr herum – nur die Tür war wieder zugeglitten.
Er setzte die Brille ab und wagte sich nach einem innerlichen Ruck hinaus in die hell erleuchtete Zone. Zwischen zwei Reihen von Passanten eingeklemmt, ging er weiter. Jede Sekunde erwartete er einen Zwischenfall. Er fühlte direkt die Blicke der Menschen wie Dolchstiche in seinem Rücken. Halb irre vor Nervenanspannung bog er schräg ab und ging zum Lift.
Sekunden später wehte ihm die warme Luft des Nachmittags entgegen. Er atmete auf. Jetzt war er wieder in der schützenden Deckung der Masse.
Wohin?
Er hatte kein Ziel, aber er mußte sich von dieser Stadt entfernen. Er beschloß, jene zweite Bucht aufzusuchen, von der er nur den Standort auf der Karte kannte. Er bewegte sich mit dem Strom der Fußgänger auf die Station der Magnetbahn zu. In der Luft schien eine gewisse Nervosität zu liegen. Es war dunstig, und die Sonne war wie ein praller Ballon hinter den hochliegenden Wolken. Stapen erreichte die oberste Stufe der Anlage, die zur Station hinunterführte.
Er setzte sich auf eine Bank; er mußte erst beobachten und feststellen, ob er nicht in eine bewachte Falle tappte.
Er sah sich um und musterte die Personen unter sich, die zwischen der Schiene und dem Ausgang standen und sich unruhig hin- und herschoben. Es war unverkennbar. Die Mitteilung von einem Mord hatte das Gefüge dieser kleinen Welt deutlich erschüttert. Ein etwa zehnjähriger Junge kam auf ihn zu und blieb zwei Meter vor ihm stehen.
»Wie spät ist es, bitte?« fragte er.
Ein kleiner Junge mit blauem Haarschopf und kupferfarbener Haut. Er sah ihn mit großen, aufmerksamen Mandelaugen an. Die Ohren waren klein und spitz zulaufend. Stapen sagte:
»Es ist fünf Uhr dreißig, Kleiner.«
»Danke«, sagte der Junge, wandte sich zum Gehen und blieb dann unschlüssig stehen. »Haben Sie meinen Vater gesehen?« fragte er leise.
Sein Gesicht drückte Unsicherheit aus.
»Nein«, sagte Stapen nicht unfreundlich. »Ich kenne deinen Vater auch nicht. Du wartest hier auf ihn?«
Der Junge nickte.
»Wissen Sie«, sagte er und steckte einen Finger ins Ohr. »Er ist nämlich Polizist. Er muß aufpassen, daß er den Mörder erwischt. Sind Sie auch Polizist?«
Stapen schüttelte den Kopf.
»Nein!« sagte er.
Sie schwiegen und sahen sich an. Der Junge, ebenfalls eine positive Mutation, hatte zwei halbe Gesichter; auf der einen Seite, links, war die Haut kupferfarben, auf der anderen strahlend goldgelb. Der Junge trat von einem Fuß auf den anderen und sagte:
»Wissen Sie, mein Vater hat gesagt, er kennt hier alle Gesichter. Und wenn er jemanden sieht, der nicht hierher gehört, dann kontrolliert er ihn. Er wird den Mörder schon finden!«
Stapen stand auf und schob die Brille über seine Augen.
»Daran ist nicht zu zweifeln!« sagte er. »Ich muß jetzt gehen.«
»Wohin gehen Sie?«
Stapen schlenderte langsam die Treppe hinunter, blieb stehen und sah den Zug in die Halle einfahren. Geräuschlos hielt die Anordnung der torpedoförmigen Wagen.
»Ich fahre in eine andere Stadt!« sagte Stapen. »Und jetzt muß du mich entschuldigen!«
Der Junge nickte, rannte plötzlich an ihm vorbei und auf einen Mann
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