Apollofalter
manchen Stellen unterbrochene Linienführung ein. Der Himmel sah aus wie ein abstraktes Kunstwerk.
Der Löwenhof war ein relativ neues Gebäude aus den sechziger Jahren. Im Erdgeschoss rechts von der Treppe mit dem schmiedeeisernen Geländer befand sich eine hohe Toreinfahrt, die offen stand. Er lugte hinein. Kartonnagen stapelten sich dort auf einem Tisch ebenso wie leere Weinflaschen, die in Kisten übereinandergetürmt vor den weiß gekalkten Wänden lehnten. An der Seite stand ein riesiger Billardtisch. Aus einem der hinteren Räume trat ein älterer Mann heraus. Er trug zwei Kartons auf dem Arm, die er in einen Geländewagen lud, der die Aufschrift des Weingutes trug. Der Mann nickte Kilian grüßend zu.
Der gepflasterte Hof war voller Blumen. Vor den Fenstern blühten rote Geranien. Ganz hübsch, wenn man auf so etwas Wert legte. Auf der Bank an der Hauswand lag zusammengerollt eine getigerte Katze. Alles wirkte friedlich. Diese Abgeschiedenheit und der wenige Betrieb waren ihm recht. Er hasste Hektik und Menschenansammlungen.
Eine üppig belaubte Pergola begrenzte den gegenüberliegenden Wingert. Dort standen Irmtraud und Marion Lingat und waren damit beschäftigt, die Reben aufzubinden. Er winkte ihnen zu. Doch die beiden Frauen waren offensichtlich so sehr in ihre Arbeit vertieft, dass sie ihn gar nicht bemerkten.
Er ging dorfauswärts den asphaltierten Wirtschaftsweg entlang. Hoch über der Mosel spannte sich die Autobahnbrücke, die den Hunsrück mit der Vordereifel verband. Zwischen den rebenbewachsenen Terrassen, die wie Schwalbennester an den Felsen klebten, schienen die mächtigen Betonpfeiler emporzuwachsen. Hauptsächlich dort mussten sich die Fetthennenpolster befinden, die Eiablageplätze des Apollofalters.
Er dachte daran, wie die Taxifahrerin von den Weinbergterrassen mit ihrem mediterranen Klima geschwärmt hatte. Als ob er nicht wüsste, dass solche Steilhänge eine sehr gute Lage versprachen. Moselwein hatte eine ganz eigene Blume, die er früher, als er noch Weintrinker war, sofort erkannte. Es hatte durchaus eine Zeit gegeben, während der er sich mit der Philosophie rund um den Wein beschäftigte. In einer späteren Phase war ihm der Geschmack eines Getränkes egal gewesen. Hauptsache, es enthielt genug Alkohol. Je hochprozentiger, desto besser.
Mütter mit Kinderwagen begegneten ihm unterwegs. Und Kolonnen von Fahrradfahrern, denen er ständig ausweichen musste. An einer Abzweigung führte der Weg höher den Berg hinauf. Er hob eines der Schieferstücke auf, die verstreut zwischen den Rebstöcken lagen und behielt es in der Hand. Als er ein gutes Stück zurückgelegt hatte, setzte er sich auf ein Mäuerchen, ließ die Beine baumeln und schaute hinunter ins Tal.
Unten war ein Hafen. Rings um die Anlegestege dümpelten kleinere Schiffe und Boote und verbreiteten Urlaubsstimmung. Ein paar moderne weiße Yachten waren ebenfalls dabei. Das Mäuerchen, auf dem er saß, war sonnenwarm. Er atmete tief ein. Die Welt hier war friedlich und wohlgeordnet. Die reinste Idylle. Genau das, was er suchte.
Das Schieferstück in seiner Hand fühlte sich warm und glatt an wie Menschenhaut.
Mit einem Mal war er sehr froh, hierher gekommen zu sein.
Hannah, deren Mutter und Tante saßen schon am Tisch, als er den Raum betrat. Das Mädchen nickte ihm freundlich zu und forderte ihn auf, sich neben sie zu setzen. Marion hatte sich umgezogen. Im Weinberg hatte sie Jeans und ein ausgeblichenes T-Shirt angehabt. Jetzt trug sie ein elegantes sandfarbenes Kostüm und eine Perlenkette um den Hals. Offensichtlich hatte sie noch etwas vor.
»Mutter lässt sich entschuldigen. Sie hat sich bereits hingelegt. Es geht ihr nicht so gut«, sagte sie. »Sie müssen leider mit uns dreien vorliebnehmen, Herr Kilian.«
Hannah nahm ein Stück Brot aus dem Korb, riss es mitten durch und steckte sich einen Fetzen Brot zwischen die Lippen. »Das Brot schmeckt toll. Das hat übrigens Tante Irmchen selbst gebacken«, berichtete sie kauend.
Sofort überzog sich Irmchens Gesicht mit einer zarten Röte. Sie saß Kilian gegenüber und forderte ihn ihrerseits auf, sich zu bedienen. »Abends gibt es bei uns nur kalte Küche«, sagte sie. Es klang entschuldigend. »Natürlich immer mit einem Gläschen Riesling. Ich hoffe, es ist Ihnen recht?«
Er nickte. Und wehrte diesmal auch nicht ab, als sie ihm ein Glas Wein einschenkte. Während er sich Käse und Schinken auf den Teller lud, huschten seine Augen zwischen den beiden
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