Apollofalter
spielte. »Um mich klar auszudrücken: Ich wünsche keine Wiederholung des Falles Hähnlein.«
»Ja, aber ...«, wollte sie auftrumpfen. Mit einer beschwichtigenden Handbewegung unterbrach er sie. »Und wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf: Ein bisschen mehr Toleranz stünde Ihnen gut zu Gesicht. Die erwarten Sie schließlich ebenso von den Kollegen.« Bei diesen Worten zwinkerte er ihr zu. »Ich denke da insbesondere auch an unser Leitbild, an dessen Erstellung Sie ja mitgearbeitet haben.«
Ach, das Leitbild mit seinen hehren Zielen! Das Fundament für die künftige Polizeikultur, wie es so schön hieß. Jedem war klar, dass es sich dabei um eine pure Vision handelte. Wie das nun mal so ist mit Ideal und Wirklichkeit. Auch die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau war in vielen Bereichen noch immer eine pure Vision. Obwohl sie gesetzlich verankert war.
»Also, Frau Mazzari. Um es kurz zu machen: Ich erwarte von Ihnen, dass Sie Herrn Hinterhuber eine faire Chance geben. Ich bin sicher, er verhält sich absolut kooperativ. Vorurteile sind da vollkommen fehl am Platz.« Er beugte sich vor und tätschelte ihre Hand. »Dies sollten Sie beherzigen, Frau Mazzari. Es ist nicht gut, den Bogen zu überspannen.« Mit diesen Worten erhob er sich und gab ihr zu verstehen, dass damit das Gespräch für ihn zu Ende war.
Der unbefriedigende Zustand hatte noch eine Weile angedauert, bis zu ihrem ersten großen Fall. Da hatte Franca erkannt, was in Hinterhuber steckte. Ein brillanter Analytiker, der auf Team-Arbeit baute. Einer, der die Dinge auf den Punkt brachte. Einer, der mit Kritik nicht hinterm Berg hielt, aber auch selbstkritisch war und sich entschuldigte, wenn er Fehler gemacht hatte. Einer, der sich selbst zurücknahm, der nicht auf Eigenlob aus war, sondern sie als die Dienstältere respektierte und der auch dann von »wir« sprach, wenn durchaus ein »ich« angebracht gewesen wäre. Wenn es Lorbeeren zu ernten gab, ließ er ihr stets mindestens die Hälfte zukommen.
Hinterhuber war das verkörperte Leitbild. Sie hätte nicht gedacht, dass es so etwas gab. Trotzdem blieb sie weiterhin auf der Hut. Doch es gab einfach nichts zu beanstanden. Obwohl sie nicht besonders nett zu ihm war, bewies er ihr seine Loyalität jeden Tag aufs Neue. Zähneknirschend musste sie ihre Fehleinschätzung eingestehen.
Daran dachte sie, als sie jetzt neben ihm her lief. Es war offensichtlich von Vorteil, die Welt durch eine Goldrandbrille zu betrachten. Vielleicht sollte sie überlegen, statt der Kontaktlinsen so was zu tragen. Schließlich war sie längst aus dem Alter raus, da sie Bemerkungen wie »Mein letzter Wille – eine Frau mit Brille« verunsicherten.
Inzwischen hatten sie das ehemalige »Balthazar« erreicht, das seit neuestem nur noch »Grand Café« hieß – ein Name, der dem prunkvollen Jugendstilcafé mit seinem besonderen Ambiente durchaus gemäß war. Trotz strahlend blauem Himmel und Sonnenschein war es zu kalt zum Draußensitzen. Hinterhuber hielt ihr die Tür auf. Es waren nur wenige Tische besetzt. Sie wählten einen Platz am Fenster mit Blick auf den Görresplatz und die Historiensäule.
»Willst du auch was essen?«, fragte Hinterhuber. »Ich hab heute noch nichts Richtiges bekommen.«
»Gibt’s denn hier was für dich außer Grünfutter?«, fragte sie. Hinterhuber war überzeugter Vegetarier. Außer ihm kannte sie keinen männlichen Kollegen, der kein Fleisch aß. Das war eine weitere Auffälligkeit, die ihn von den anderen unterschied.
»Da bin ich mir ganz sicher.« Er schlug die Speisekarte auf. »Die Auswahl an Pasta kann sich sehen lassen«, murmelte er beifällig. »Aber das klingt noch besser: Überbackene Blumenkohl-Käse-Medaillons. Die nehme ich.«
Ihre Geschmacksknospen verlangten nach einem saftigen Steak. Mit viel zerlaufener Kräuterbutter darüber. Aber vielleicht sollte sie ebenfalls ihren Fleischgenuss einschränken. Schon oft hatte sie sich darüber gewundert, welche Ruhe und Gelassenheit Hinterhuber ausstrahlte, während sie beim gleichen Anlass direkt an die Decke ging. Vielleicht war ja doch etwas dran an der Theorie, dass man mit jedem Stück Fleisch Stresshormone zu sich nahm, die das Aggressionspotential in die Höhe trieben.
»Jeder sollte das essen, was ihm schmeckt. Und mir schmeckt nun mal kein Fleisch«, hatte er einmal geäußert, als sie ihn fragte, weshalb er Vegetarier sei. Er wolle auf keinen Fall den Missionar spielen, betonte er. Es läge ihm fern, anderen Menschen
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