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Apollofalter

Apollofalter

Titel: Apollofalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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»Oder hast du noch Hausaufgaben zu machen?«
    »Nein«, sie schüttelte den Kopf. »Die mache ich meistens in der Schule. Wir haben oft Freistunden zwischen dem Unterricht.«
    »Wo gehst du denn zur Schule?«
    »In Koblenz. Aufs Gymnasium.«
    Er beobachtete, wie sie die Hände in das schaumige Wasser tauchte. Lange schlanke Finger, an denen silberne Ringe steckten. Er nahm ein Geschirrtuch vom Haken und begann mit dem Abtrocknen.
    »Toll, dass Sie mir helfen«, sagte sie. »Sonst muss ich das immer alleine machen. Eigentlich könnte man ja alles in die Spülmaschine stellen, aber Oma hat da ziemlich altmodische Vorstellungen. Besteck und Gläser muss man mit der Hand spülen, meint sie.« Sie zwinkerte ihm zu. »Manchmal packe ich doch alles in die Maschine. Aber leider merkt sie das meistens.«
    Immer wieder sah er sie mit einem verstohlenen Seitenblick an. Er betrachtete die fein geschwungene Linie ihres Nackens. Die beiden wippenden Zöpfe. Die Knopf-Ohrringe. Ihre kleinen Brüste drückten sich gegen den Stoff ihres dünnen T-Shirts, dessen Ärmel hochgeschoben waren und bloße Haut freigaben, auf der Goldflaum schimmerte. Sie trug eine Menge Armbänder. Leder-, Silber- und Plastikbändchen. Wahrscheinlich war das modern.
    Als sie aufsah, lachte sie ihn unbefangen an. »Hier bei uns hat jeder seine bestimmten Aufgaben. Tante Irmchen ist für das Essen zuständig. Mama besucht die Kunden und macht die Buchhaltung.«
    »Und deine Großmutter führt das Regiment?«
    Ihr Kopf schnellte herum. »Ja. Genau.« Sie kicherte. »Sie meint es jedenfalls. Aber irgendwie machen doch alle, was sie wollen.« Sie sah ihn verschmitzt an.
    Das Wasser lief gurgelnd ab, als sie den Stöpsel zog. Sie rieb Becken und Ablage trocken. Alles sah sauber und ordentlich aus. Sie griff in den Brottopf und nahm sich noch eine Scheibe heraus. »Das schmeckt immer so lecker, wenn Tante Irmchen selbst backt«, sagte sie. »Möchten Sie auch noch ein Stück?«
    »Gern.«
    Hannahs Blick begegnete ihm. Sie sah ihn ein paar Sekunden lang an. Ein Blick, den er kannte. Ihre kleine Zunge schnellte zwischen den rosigen Lippen hervor, um einen Krümel abzulecken. Dann verschwand die Zunge wieder im Mund. Er spürte, wie heißes Gift in seine Lenden schoss. Ein wunderbarer Augenblick der Verzückung. Er hatte seine Lolita gefunden. Seine Lolita hieß Hannah.
    Sie nahm das Messer, schnitt ihm eine Scheibe Brot ab und reichte sie ihm. Wortlos nahm er das Brot entgegen, registrierte die flüchtige Berührung ihrer Finger und nickte ihr zu. Er fürchtete, hätte er in diesem Moment etwas gesagt, seine Stimme hätte ihn verraten.
    »Soll ich sie Ihnen gleich zeigen?« Ein Blick wie aus Sternen. Das Blut begann in seinem Kopf zu rauschen. Er meinte, geradewegs in ihr Herz zu schauen. Er räusperte sich. »Was ... meinst du?«
    »Die Puppengespinste. Sie sagten doch, dass sie wegen des Apollofalters gekommen sind.«
    »Ach so, ja, natürlich.«
    »Wollen wir noch einen Spaziergang machen?«
    Er hätte jubeln können. Hielt sich aber zurück.
    »Es geht allerdings ziemlich steil bergauf. Hoffentlich sind Sie gut zu Fuß?« Ernüchtert spürte er ihren abschätzenden Blick auf sich gerichtet. Auf seine Körperformen. Seine Beine. Sein Bauchansatz konnte ihr nicht verborgen geblieben sein. In ihren Augen musste er ein alter Mann sein. Einer, der ihr Vater sein könnte.
    »Das ist schon in Ordnung«, versicherte er. »Ja. Lass uns das tun. Aber nur, wenn es dir nichts ausmacht«, fügte er hastig hinzu.
    Sie lachte. »Im Gegenteil. Ich gehe abends oft noch mal durch unsere Weinberge. Man muss die Reben immer im Auge behalten. Das ist wichtig.«
    »Hast du denn keine Angst, so spät noch da hoch zu gehen?«
    »Angst?« Wieder lachte sie dieses herrlich unbefangene Lachen. »Vor wem denn? Hier passiert doch nichts.«
    »Da wäre ich aber schon ein wenig vorsichtiger. Man kann ja nie wissen.«
    »Heute sind Sie doch bei mir und beschützen mich, oder?«, sagte sie augenzwinkernd. »Ich hol nur schnell meine Jacke.« Damit flitzte sie um die Ecke.
     
    Sie benutzten nicht die ausgewiesenen Pfade, sondern kürzten immer wieder den Weg ab, indem sie zwischen den Rebzeilen hindurch schritten, immer höher die unebenen Terrassen hinauf. Streckenweise erleichterten schmale Treppenstufen den Aufstieg. Er achtete auf seine Schritte. Schiefergeröll löste sich unter seinen Schuhen und rutschte bergab. Er wagte kaum, hinunter zu schauen. Weil von diesem Blick ins Tal eine

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