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Apollofalter

Apollofalter

Titel: Apollofalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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wollte sie wissen. »Apollo?«
    Er nickte. »Mit diesen Worten hat er die Nymphe Daphne umworben. Er hat sich alles Mögliche einfallen lassen, um sie zu bekommen. Leider erfolglos.« In gespieltem Bedauern hob er die Schultern. Ihr offensichtliches Interesse spornte ihn an, fortzufahren. »Dabei war Apoll ein äußerst cleverer Bursche. Der vielseitigste und der widersprüchlichste unter den griechischen Göttern.«
    »Wissen Sie das noch aus der Schule?«, fragte sie.
    »Weniger.« Er lachte. »Ich fürchte, da ist nicht all zuviel hängen geblieben. Aber ich lese ziemlich viel.«
    »Ich lese auch sehr gern«, entgegnete sie eifrig. »Alles Mögliche, was mir in die Finger kommt. Sie können sich ja mal in meinem Zimmer umschauen. Falls Sie sich was ausleihen möchten oder so.«
    »Gern.« In Gedanken stellte er sich bereits vor, wie er ihr Zimmer betrat. Wie es eingerichtet war. Wie ihr Bett aussah. Ob sie auch Stofftiere auf dem Kissen sitzen hatte wie damals Melisande?
    »Wieso interessieren Sie sich ausgerechnet für Schmetterlinge?«, fragte sie nach einer Weile.
    »Ich habe mich schon als Kind für alles interessiert, was da kreucht und fleucht«, sagte er lächelnd. »Stundenlang lungerte ich an Wegrändern und Wiesen herum, um alles genau zu beobachten. Irgendwann hörte ich von Maria Sybilla Merian, die bereits mit dreizehn Raupen und Insekten beobachtet hat. Die hat man in ihrer Zeit – es war ja das achtzehnte Jahrhundert – als ›Teufelsgetier‹ bezeichnet, also nicht der Beachtung wert.« Er lachte auf. »Aber Sybilla hat sich nicht um die gängige Meinung geschert. Sie war eine außergewöhnliche Frau.«
    »Die Begründerin der Insektenforschung, ich weiß«, unterbrach ihn Hannah. »War sie nicht von der Metamorphose besonders fasziniert?«
    »Genau.« Überrascht sah er auf. Gab es etwas, das dieses Mädchen nicht wusste?
    Ihre lächelnden Aquamarinaugen ließen sein Herz schmelzen.
    »Ich habe mir nämlich überlegt, ob ich nicht Biologie studieren soll.« Sie senkte den Kopf. »Aber ich bin mir noch nicht ganz sicher. Es gibt einfach zu viele interessante Studiengänge.«
    »Biologie ist ein sehr schönes Studium«, bekräftigte er. »Man macht Exkursionen und lernt die Welt mit ihrer komplexen Vegetation kennen. Von allen Naturwissenschaften lehrt die Biologie am stärksten, die Lebensumstände des Menschen und aller anderen Lebewesen zu erforschen. Entzieht man dem Boden seine Nährstoffe, verändert sich auch die Vegetation. Diese Wechselwirkungen von Organismen und Umwelt lernt man nirgends besser verstehen als in diesem Fachgebiet.« Er unterbrach sich. Meine Güte, wie redete er wieder gescheit daher. Doch ihr ernster, bestätigender Blick ermutigte ihn fortzufahren. »Man kann allerhand damit anfangen. Du könntest beispielsweise Forscherin werden. An der Uni. Oder ins Ausland gehen.«
    Sie nickte. Dann lächelte sie. »Noch hab ich ja ein wenig Zeit, mich zu entscheiden. – Kommen Sie mit hier herauf.« Sie stieg ein paar Schritte den Hügel hinauf. Zwischen den ansteigenden Weinbergen befand sich ein schmaler Grüngürtel. Dort blieb sie stehen und winkte ihn ungeduldig zu sich.
    Der Fluss war inzwischen in ein bläuliches Dämmerlicht gehüllt.
    »Die Mosel sieht überall anders aus. Aber überall ist sie schön«, sagte sie. »Die Römer nannten sie Mosella amoena.«
    Er nickte. »Die liebliche Mosel.«
    »Dort drüben im Hamm wurden übrigens Reste einer Römervilla gefunden. Man nimmt an, dass sie um die Zeit von Christi Geburt dort gebaut und etwa vier Jahrhunderte lang genutzt wurde. Für unsere Verhältnisse war es eine sehr moderne Anlage. Die hatten nicht nur Fußbodenheizung, sondern auch eine Kalt- und Warmwasseranlage. Das muss man sich mal vorstellen.«
    Sie kam ihm so erwachsen vor mit all ihrem Wissen.
    »Ist es nicht merkwürdig, dass hier, wo wir stehen, schon vor zweitausend Jahren Menschen entlanggegangen sind? Sie haben zwar eine andere Sprache gesprochen. Und es gab auch noch keine Bahnlinie. Aber sie haben im Großen und Ganzen genau das gesehen, was wir jetzt auch sehen.« Sie sprach leise mit Ehrfurcht in der Stimme.
    Ein Kind, das viel weiß und trotzdem noch staunen kann, dachte er. Dann waren sie eine Weile still. Jeder für sich in seine Gedanken versunken. Wie abgeschnitten waren sie von der übrigen Welt. Nur das leise Rauschen der Autos hoch über ihnen auf der Brücke war zu hören. Ewig hätte er mit ihr hier stehen können. Ihr wunderschönes Profil

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