Apollofalter
Vater und bei Franca. Ganz so, wie es ihr gefiel. David und sie verstanden sich als moderne Eltern, die sich nach der Scheidung weder angifteten noch ihrer Tochter aufoktroyieren wollten, mit wem sie ihre Zeit verbringen sollte. Das durfte Georgina selbst entscheiden. Sowohl in Francas als auch in Davids Wohnung gab es ein Zimmer, das ihr nach Gutdünken zur Verfügung stand.
Die milchschokoladenbraune Haut und das krause Haar hatte Georgina unverkennbar von ihrem Vater, einem Schwarzamerikaner, geerbt. Momentan befand sie sich auf einem Schüleraustausch in Seattle und wohnte bei Davids Schwester. So ganz recht war Franca dies nicht gewesen. Ihrer Meinung nach hätte Georgina ruhig noch ein paar Jährchen damit warten können, die Heimatstadt ihres Vaters kennenzulernen. Aber Georgina hatte keine Ruhe gegeben, nachdem sie im Fernsehen »Schlaflos in Seattle« gesehen hatte. Seitdem hatte sich diese Idee in ihr festgesetzt. Bei Georgina musste immer alles sofort geschehen. David war äußerst geschmeichelt über das Interesse seiner Tochter und hatte sofort mit seiner Schwester Debbie alles klargemacht. In einer solchen Windeseile, dass Franca sich regelrecht übergangen fühlte. Doch um des lieben Friedens willen hatte sie geschwiegen.
Nachdem sie Farinelli versorgt hatte, legte sie sich nochmals ins Bett, griff nach einem Buch und begann zu lesen. Der Kater kam zu ihr ins Schafzimmer, hüpfte aufs Bett, wo er sich dicht neben ihr zu einer Kugel zusammenrollte und zu schnurren begann. Angenehm spürte sie die Wärme, die sein Fellkörper verströmte. Ihr Bett war ein kuscheliges Nest. So lange, bis schrilles Telefonklingeln die morgendliche Behaglichkeit unterbrach.
»Hi, Frankie«, sagte eine ihr wohlvertraute Stimme in nüchternem Tonfall. »Little big Frankie« hatte David sie früher mal genannt. Mit einem sanften Vibrieren in der Stimme. Das war in einem anderen Leben gewesen, als sie noch beide an eine gemeinsame Zukunft geglaubt hatten.
»Entschuldige, dass ich dich so früh anrufe. Ich weiß ja, dass du um diese Uhrzeit ungern gestört wirst.« Ihr Ex-Mann war ein notorischer Frühaufsteher.
Warum tust du es dann?, fragte sie stumm.
»Ich wollte mich nur erkundigen, ob Georgina sich bei dir gemeldet hat.«
»Wieso?«, fragte sie, hellhörig geworden. »Hat sie sich mit deiner Schwester verkracht? Oder mit Kylie?«
Kylie war Debbies Tochter und im gleichen Alter wie Georgina.
»Quatsch. Was du immer gleich denkst.«
Seine Worte straften ihn Lügen. Es war beiden klar gewesen, dass ihre Tochter früher oder später mit Debbie aneinander geraten würde. Debbie war alleinerziehend und behütete Kylie wie eine Glucke ihr einziges Küken. Eine solche Aufmerksamkeit war Georgina nicht gewohnt. Insgeheim wunderte sich Franca, dass bisher alles so glatt gegangen war und nicht schon früher irgendwelche Klagen gekommen waren. Immerhin war Georgina schon gute zwei Monate drüben in Seattle.
»Ja. Und?« Sie merkte, wie er herumdruckste. »Sag mal, David, was ist eigentlich los?«
»Ja, es ist so ... Georgina und Kylie sind unterwegs. Und Debbie weiß nicht, wo die Mädchen sind. Das heißt ...«
»Was?«, schrie sie ins Telefon. Farinelli schoss erschrocken davon. Sie hatte sich im Bett aufgerichtet und hielt den Hörer fest an ihr Ohr gepresst. »Was sagst du da? Seit wann sind sie weg?«
»Das weiß ich nicht so genau. Debbie hatte Nachtschicht. Als sie aus dem Haus ging, saßen die beiden friedlich vor dem Fernseher.« Davids Schwester arbeitete als Rezeptionistin in einem großen Hotel. »Und als sie heute Morgen nach Hause kam, waren die beiden verschwunden. Sie hatten vorher angekündigt, dass sie mit ein paar anderen Mädchen einen Wochenendausflug zur Olympic Peninsula machen wollten. Debbie hat ihnen das natürlich nicht erlaubt. Aber offenbar sind sie trotzdem losgezogen.« Einen Moment hielt er inne. »Du weißt ja, wie es ist, wenn sich Georgina etwas in den Kopf gesetzt hat. Und nun ist Debbie fast am Durchdrehen.«
Francas Herz pochte. »Die sind zur Olympic Peninsula aufgebrochen?« Die Halbinsel im Pudget Sound war nur über etliche Fährverbindungen zu erreichen. Sie war sehr groß und kaum bewohnt. Hauptsächlich wegen ihrer urwüchsigen Natur und des Regenwaldes war sie eine Attraktion. »Haben sie denn kein Handy dabei?«
»Die sind ausgeschaltet«, gab er kleinlaut zu.
»Aber wie können die denn so was tun?« Franca hörte selbst, wie idiotisch dieser Satz klang. Gleichzeitig
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