Apollofalter
den anderen konnte es sehr heiß werden, um dann wieder enorm abzukühlen.
Gedanken zuckten wie Blitze durch seinen Kopf. So vieles war geschehen in den paar Wochen seines Aufenthaltes hier.
Heute war das Ende eines langen Tages, er war sehr mit sich zufrieden. Es war ihm endlich gelungen, das Schlüpfen eines Apollofalters zu filmen, nachdem er sich tagtäglich mit Kamera und Stativ in die Steilhänge des Uhlen aufgemacht hatte. Besonders hatte er sich darüber gefreut, dass er dieses kleine Wunder zusammen mit Hannah erleben durfte.
Die Luft roch gut. Nach Sommer in der Natur. Die Grillen zirpten. Er fühlte sich wohl. Ausgeglichen und mit sich im Reinen wie schon lange nicht mehr. Der Gedanke, hier bald wieder weg zu müssen, zurück in seine einsamen vier Wände, behagte ihm überhaupt nicht. Schnell verdrängte er diesen Gedanken und betrachtete die Achsen des großen Bären.
Ein Auto fuhr langsam den Weg herauf und hielt vor dem Haus. Eine Tür wurde geöffnet und wieder zugeschlagen. Schritte gingen über den Hof.
»Herr Kilian, Sie sind noch auf?«
Marion kam von einem ihrer abendlichen Ausflüge zurück. Er vermutete, dass ein Mann dahinter steckte. Er wunderte sich sowieso, dass sie zusammen mit Mutter und Schwester auf dem Weingut lebte und sich nicht längst verabschiedet hatte, um eine eigene Familie zu gründen. Bei ihrem Aussehen konnte sie doch sicher jeden Mann haben, den sie nur wollte. Aber im Grunde ging ihn dies nichts an. Er hatte sich noch nie in die Angelegenheiten fremder Menschen gemischt.
»Ich genieße den Abend«, antwortete er auf ihre Frage. Ein Satz, der so gar nicht zu ihm passte. Aber hier an diesem Ort hatte für ihn ein anderes Leben begonnen. Er wunderte sich über so manches, das nicht zu ihm passte.
»Darf ich mich einen Moment zu Ihnen setzen?«, fragte Marion.
»Gern.«
»Ich hole uns schnell noch was zu trinken.«
Mit einer offenen Flasche Wein und zwei Gläsern kam sie zurück. »Unser Bester«, sagte sie und hob die Weinflasche hoch, auf der ein goldenes Prädikat über dem Etikett prangte. »Den gibt’s nur zu besonderen Gelegenheiten.«
»Haben Sie denn etwas zu feiern?«, erkundigte er sich höflich.
Sie goss die beiden Gläser voll und schob ihm eines davon hin. »Stoßen Sie mit mir an?«, fragte sie statt einer Antwort.
Bisher hatte er es immer zugelassen, dass ihm ein Glas Wein eingeschenkt wurde. In ebenso schöner Regelmäßigkeit ließ er es unberührt stehen. Diesmal schob er das Weinglas entschlossen zur Tischmitte. »Danke. Nein«, sagte er bestimmt.
»Sie verschmähen unseren guten Riesling?« Sie zwinkerte ihm spitzbübisch zu. »Das könnte ich Ihnen richtig übel nehmen.«
»Sicher ist Ihr Wein hervorragend.«
Sie neigte den Kopf. »Aber?«
»Ich bin Alkoholiker.« Er wunderte sich selbst, wie ihm dieses Bekenntnis so einfach über die Lippen kam. »Trockener Alkoholiker.« Er horchte den Worten nach. Sie hatten ganz normal geklungen. Keine Panik schwang mit. Eine einfache Bezeichnung. Er war trockener Alkoholiker. Und er hatte seine Sucht überwunden. War das nicht ein Grund, stolz auf sich zu sein?
Marion hatte ihr Glas zu den Lippen geführt. Sie stellte es ohne zu trinken ab. »Drum«, sagte sie. In ihrem Gesicht spiegelten sich die widersprüchlichsten Fragen. Nach einer Weile sagte sie: »Und wieso quartieren Sie sich dann ausgerechnet in einem Weingut ein? Ich meine, ist da die Versuchung nicht ziemlich groß, rückfällig zu werden?«
Ihm gefiel ihre Art, das auszusprechen, was ihr gerade durch den Kopf ging. Auch daran merkte er, dass er einen guten Schritt weitergekommen war. Früher hätte er es gehasst, so direkt auf sein Problem angesprochen zu werden. »In Winningen gibt’s fast nur Unterkünfte, die in irgendeiner Weise etwas mit Wein zu tun haben. Und Ihr Angebot erschien mir das Verlockendste.«
Vorsicht, Kilian! Was sagst du denn da schon wieder?
Als er das Zimmer mietete, hatte er überhaupt nichts von dem Püppchen gewusst, das ihm hier begegnen würde. »Ich meine, Sie waren sehr preisgünstig«, fügte er schnell hinzu. »Das Preis-Leistungs-Verhältnis auf dem Löwenhof ist optimal. Besonders, wenn man an Irmchens traumhaftes Essen denkt.«
»Nett, dass Sie das sagen.« Sie wirkte leicht verunsichert. »Soll ich Ihnen ein Wasser holen?«
»Danke. Nicht nötig.«
»Macht es Ihnen denn nichts aus, wenn ich Ihnen hier etwas vortrinke?«
»Sie meinen, ob ich dadurch in Versuchung geführt werde?« Ein
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