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Apollofalter

Apollofalter

Titel: Apollofalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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vergessen?
    Sie schüttelte die nassen kurzen Haare, die sich in ihr Gesicht ringelten und betrachtete kritisch die grauen Fäden, die sich in letzter Zeit rasant vermehrt hatten. Wie schön, dass man heutzutage so etwas nicht hinnehmen musste. Nachher würde sie als Erstes einen Friseurtermin vereinbaren. Sie rubbelte sich ab, bis ihre Haut rosig schimmerte. Als sie sich im Spiegel betrachtete, fiel ihr Hinterhubers Kompliment ein. Sie hätte sich ganz gut gehalten für ihr Alter. Nun ja. Eigentlich fand sie das auch. Um die großen braunen Augen herum hatten sich nur Lachfalten eingegraben, die fast verschwanden, wenn sie ernst schaute. Und diese paar Pfündchen zuviel auf der Hüfte bekam man durch etwas sportliche Betätigung ganz gut weg. Sie sollte mal wieder walken gehen. Heute hatte sie allerhand zu erledigen. Aber morgen sollte das Wetter sowieso besser werden.
    Als sie ihren Busen eincremte, fiel ihr Blick auf die kleine tätowierte Schlange. Auf einmal lächelte sie breit. Nein, sie hatte überhaupt nichts vergessen. Damals in Süd-Frankreich waren sie und ihre Busenfreundin Alex auf diese verrückte Idee gekommen. Ach ja, schön war die Zeit ... Sie waren getrampt und hatten sich nicht darum gekümmert, was alles passieren könnte. Wie alt waren sie gewesen, als sie mit Flatterröcken und ausgelatschten Espadrilles am Straßenrand standen? Achtzehn? Oder neunzehn. Jedenfalls ein paar Jahre älter als Georgina jetzt. Mit dem Zug waren sie nach Südfrankreich gefahren. Auf Wiesen hatten sie ihr kleines Zelt aufgeschlagen, irgendwo in der Camargue. Und dann diese Nacht in Les-Saintes-Maries-de-la-Mer. Die Zigeunerstadt. Dort, wo die Welt zu Ende war, hatten sie und Alex sich einen Mann geteilt. Es war heiß gewesen und sie hatten einiges getrunken. Die Grillen zirpten und der junge Mann mit dem schmalen, athletischen Körper bot ihnen einen Joint an. Es war der erste Joint ihres Lebens gewesen. Die Luft zwischen ihnen dreien war elektrisch aufgeladen. Als er ihr die schmale Tüte reichte, aus der süßlicher Geruch strömte, und seine Finger ihre Haut streiften, war sie zusammengezuckt. Im nächsten Moment hatten sie sämtliche Hemmungen fallen lassen. Die Nacht, die sie unter freiem Himmel verbrachten, hatte sich unendlich in die Länge gedehnt. Sämtliche Empfindungen waren äußerst intensiv und dennoch wie mit einem Schleier überzogen. Das, was sie drei miteinander taten, schien die natürlichste Sache der Welt. Und es fühlte sich so wahnsinnig gut an.
    Sie wusste seinen Namen nicht mehr. War es Yves? Oder Pierre. Jedenfalls irgendwas typisch Französisches.
    Nach dieser denkwürdigen Nacht bekam Alex die Idee mit dem Tattoo. Jetzt, da sie sozusagen das Busenfreundinnentum besiegelt hatten. Wie hatten sie gekichert und gelacht, als sie diesen Hinterhof-Tätowierer aufsuchten, der jeder von ihnen das gleiche Tattoo setzte. Eine sich windende Schlange mit verschwommenem Linienmuster. Heute schüttelte sie sich, wenn sie daran dachte, was sie sich in diesem Hinterzimmer hätten einfangen können. Jetzt, da sie wusste, was unsaubere Nadeln alles anrichten konnten. Genauso wie sie heute wusste, wie gefährlich trampen war. Im Laufe ihrer Berufsjahre hatte sie einige Fälle bearbeitet, in denen Anhalterinnen auf übelste Weise zugerichtet wurden. Aber an so etwas hatten sie und Alex in ihrem jugendlichen Übermut überhaupt nicht gedacht. Oder sie hatten diese Möglichkeit einfach ausgeblendet. Denn ihre Mütter hatten sie doch auch gewarnt.
    Von späteren Liebhabern war sie immer wieder auf diese Schlange angesprochen worden. Einer hatte gefragt, was sie denn da für eine Natter an ihrem Busen nähre. Irgendwann fand sie diese Verunzierung nicht mehr witzig und dachte darüber nach, wie sie sie wieder loswerden könnte. Mittlerweile akzeptierte sie das kleine Tattoo. Es gehörte zu ihr und ihrem Leben. Wie so vieles, das nicht mehr auszulöschen war.
     

7
    Er saß auf der Terrasse, die direkt an die Weinberge grenzte. Domgarten hieß diese Lage und das passte irgendwie. Über ihm spannte sich ein klarer Sternenhimmel wie die bemalte Kuppel einer altehrwürdigen Kirche. Es hatte eine Weile gedauert, bis er die einzelnen Sternbilder inmitten des Gefunkels orten konnte. Wie oft hatte er als Kind vergeblich versucht, sich die unendliche Weite des Himmels vorzustellen. Eine Dimension, die er nicht erfassen konnte.
    Während seines Aufenthaltes hier war das Wetter ziemlich wechselhaft gewesen. Von einem Tag auf

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