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Apollofalter

Apollofalter

Titel: Apollofalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Marcus verzog hämisch das Gesicht. Mit einem Mal sah er gar nicht mehr so hübsch aus.
    »Quatsch. Das glaub ich nicht«, meinte Kathrin entrüstet. »Doch nicht so ein Steinzeittyp. Hast du dem mal ins Gesicht gesehen? Diese knittrige Haut? Und diese Tränensäcke?« Sie schüttelte sich. »Also, du kannst mir alles erzählen, aber an einer solchen Geschmacksverirrung hat Hannah bestimmt nicht gelitten.«
    »Und wieso hat sie sich dann nur noch mit ihm rumgetrieben?«, meinte Marcus. »Na ja, vielleicht hatte er ja innere Werte«, fügte er süffisant hinzu.
    Franca fühlte sich unangenehm berührt. So sprach also die Jugend über einen Mann in mittleren Jahren. Sie hörte den dreien noch ein Weilchen aufmerksam zu.
    »Habt ihr irgendeine Vermutung, wer für Hannahs Tod verantwortlich sein könnte?« Noch bevor sie die Frage gestellt hatte, wusste sie bereits die Antwort.
    »Fragen Sie doch mal diesen Andi«, sagte Marcus geradeheraus.
    Kathrin nickte. »Ich könnte mir auch vorstellen, dass er was damit zu tun hat. Sie war ja fast nur noch mit dem zusammen.«
    »Und du, Nick? Was glaubst du?«
    Nick sah auf. Er wirkte, als ob er von einer Trance zurückkehrte ins Hier und Jetzt. »Ich weiß es nicht«, sagte er leise und hob die mageren Schultern. Urplötzlich brach er in ein herzzerreißendes Weinen aus. Es sah schlimm aus. Ein schlaksiger, halbwüchsiger Junge, pickelig und mit Hahnenkammfrisur, der laut schluchzte und dem ungehindert Tränenbäche die Wangen hinunter liefen.

15
    Noch war das Fahren ungewohnt. Aber es machte ihm zunehmend Spaß. Er hatte nie wirklich den Führerschein vermisst, dahin, wo er wollte, kam er mit Bussen oder Bahn. Notfalls auch mit dem Fahrrad. Doch heute hatte ihn der Drang befallen, wegzufahren. Weg von allem. Irgendwohin.
    Er sah, dass nur noch wenig Benzin im Tank war und fuhr die nächste Tankstelle an. Im Verkaufsraum stachen ihm die verschiedenen Alkoholika geradezu ins Auge. Er konnte nicht widerstehen, einige Schnapsfläschchen zu kaufen.
    Wie selbstverständlich steckte sie der Verkäufer in eine Plastiktüte und reichte sie ihm. Zögernd griff er danach. Der Verkäufer, ein junger Mann mit Ziegenbärtchen, nannte Kilian den Preis und achtete nicht weiter auf ihn.
    Er verstaute die Tüte auf dem Rücksitz des Toyota, außer Reichweite. Dort klackten sie aneinander, sobald er in eine Kurve fuhr.
    Als die ersten Häuser von Koblenz auftauchten, dachte er daran, dass es fünf Wochen her war, seit er hier mit dem Zug angekommen war. In einem endlosen Gewirr türmten sich Straßenzüge und Autobahnen übereinander, führten in Schleifen über Brücken oder verschwanden in Tunnel. Oben auf dem Berg thronte die trutzige Burganlage. Festung Ehrenbreitstein. Vielleicht sollte er dort hinauffahren. Bedrängt von den Autokolonnen dicht neben ihm hielt er sich krampfhaft rechts. Versuchte, sich nach jedem Fahrbahnwechsel aufs Neue zurechtzufinden und wusste doch nicht so genau, wo er gerade war. Als er über eine Brücke fuhr, hatte er vollends die Orientierung verloren. In welcher Richtung war er denn jetzt unterwegs? Das nächste Straßenschild, das er wahrnahm, verwies auf Rüdesheim. Nun ja, fuhr er also nach Rüdesheim.
    Der Name der Stadt am Rhein löste Erinnerungsbilder aus. Seine Gedanken wanderten zurück zu einem der obligatorischen Sonntagsausflüge, die er aus tiefstem Herzen verabscheute. Viel lieber als das Genöle seiner Schwester und die ewigen Zurechtweisungen seiner Eltern anzuhören, hätte er sich mit einem seiner dickleibigen Naturbücher zurückgezogen und sich in die Betrachtung von Tieren und Pflanzen vertieft. Das war eine Welt, die ihn faszinierte und der er sich gern widmete. Diese Sonntagsausflüge hingegen waren vollkommen uninteressant in seinen Augen. Hinzu kam, dass Liane sich jedes Mal unmöglich benahm und ständig auf ihren Vorteil bedacht war. Noch ein Grund mehr, sich zu drücken. Doch es gab kein Pardon, die Eltern bestanden darauf, dass er mitkam. Weil Mutter endlich die Drosselgasse sehen wollte, von der sie schon so viel gehört hatte.
    Seine Schwester wollte unbedingt vorn sitzen. Mit stoischer Penetranz nölte sie, ihr werde hinten schlecht. Ob es ihnen lieber sei, wenn sie das Auto voll kotzt? Dieser Aussage ließ sie effektvolle Würgegeräusche folgen, von denen sich die Eltern auch noch beeindrucken ließen. Vater fuhr ruckartig bremsend an den Seitenrand, Mutter krauchte schimpfend nach hinten auf den engen Rücksitz des VW-Käfer, und

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