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Apollofalter

Apollofalter

Titel: Apollofalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Klassensprecherin gewählt. Ungerechtigkeit konnte sie überhaupt nicht ertragen. Wenn jemandem ihrer Meinung nach Unrecht zugefügt wurde, konnte sie sehr entschieden auftreten. Dann hat sie sich regelrecht ins Zeug gelegt. Ich erinnere mich besonders an eine Zeugnisdiskussion. Hannah hat nicht eher locker gelassen, bis die Schülerin, um die es ging, eine bessere Note in ihrem Zeugnis stehen hatte.« Wieder erschien ein kurzes Aufblitzen in ihren Augen. »Ja, so war sie.«
    »Das hört sich ja nach einem ganz erstaunlichen Mädchen an«, bemerkte Franca. »Und sie hatte wirklich keine Feinde? Oder Neider?«
    Die Direktorin schüttelte den Kopf. »Feinde ganz sicher nicht. Neider vielleicht schon eher. Hannah war intelligent. Dadurch war sie manchen aus der Klasse überlegen. Den Jungs war das natürlich nicht so ganz geheuer, obwohl sie irgendwie ihre Nähe gesucht haben. Jungs mögen das nicht gern, wenn die Mädchen schlauer sind als sie.« Sie sah Franca verständnisheischend an.
    Franca lachte. »Daran ändert sich auch wenig, wenn die Jungs erst mal erwachsen sind.« Sie wurde wieder ernst. »Und jemand wie dieser Mehmet draußen? Trauen Sie ihm eine Gewalttat zu?«
    »Sie meinen, weil er Türke ist?«, sagte Frau Bongartz in scharfem Tonfall.
    »Nicht weil er Türke ist. Sondern weil ich weiß, wie türkische Mütter ihre Söhne erziehen. In der Regel mit wenig Respekt vor dem anderen Geschlecht.« Franca wusste, dass sie sich mit solchen Äußerungen unbeliebt machen konnte. Aber im Laufe ihrer Arbeit war sie mit zu vielen Türken in Berührung gekommen. Diese Begegnungen hatten ihr Toleranzverständnis im Wesentlichen geprägt.
    »Manche türkischen Jungs mögen vielleicht etwas zuviel Temperament haben. Aber auch hier muss ich ganz entschieden vor Vorurteilen und Klischees warnen.«
    »Das ist ganz in meinem Sinne. Aber es beantwortet nicht meine Frage.«
    »Die Antwort lautet weiterhin ganz klar: Nein. Ausnahmslos. Keiner meiner Schüler wäre meiner Meinung nach zu einem Mord in der Lage.«
    »Mord ist ein sehr großes Wort.« Franca faltete die Hände, legte das Kinn darauf und sah der Direktorin in die Augen. »Mal anders gefragt: Wenn Sie da unten auf dem Schulhof nicht dazwischen gegangen wären, wäre da vielleicht etwas Schlimmeres passiert?«
    »Frau Mazzari, hören Sie auf zu theoretisieren. So kommen wir doch keinen Schritt weiter.« Eine steile Unmutsfalte stand zwischen den Augenbrauen der Direktorin.
    Es war das gesamte Wesen dieser Frau, das Franca zum Widerspruch reizte. »In meinem Beruf muss man alle Eventualitäten andenken. Auch das unmöglich scheinende.« Franca lächelte. »Glauben Sie mir, ich erlebe immer wieder, wie einfach manchmal die Dinge sind. Erschreckend einfach. Männer erschlagen Frauen, weil sie ihnen nicht zu Willen sind. Jungs fühlen sich gekränkt, weil sie von einem Mädchen eine Abfuhr erhalten haben.«
    »Ich wiederhole mich ungern, Frau Mazzari: Eine derartige Gewalttat ist an unserer Schule undenkbar.«
    Ach komm, du fürchtest doch nur um den guten Ruf deiner Schule, dachte Franca und erhob sich. »Könnten wir in Hannahs Klasse gehen? Ich würde mich gern mit ihren Mitschülern unterhalten.« Sie sah durch das kleine Bürofenster hinaus auf den Schulhof, der jetzt verwaist dalag.
    Die Direktorin warf einen Blick auf die Uhr. Dann nahm sie den Stundenplan zur Hand. »Die Neun hat gerade Biologie-Unterricht. Wenn Sie mitkommen wollen?« Die Direktorin griff nach einem Schlüsselbund. »Die Biologieräume sind da hinten im Anbau.«
    Zielstrebig lief sie vor Franca her. Die hochhackigen Absatzschuhe machten auf dem gefliesten Boden ziemlichen Lärm. Im Gegensatz zu Francas Mokassins.
    Die Direktorin klopfte kurz an eine der Türen, die vom Flur abgingen, und trat ein. Die Schüler – vielleicht fünfundzwanzig, darunter mehr Mädchen als Jungen – drehten allesamt die Köpfe und sahen ihr neugierig entgegen.
    »Ich darf euch Hauptkommissarin Mazzari von der Kripo Koblenz vorstellen.« Franca sah sich in dem Raum um. Es war ein heller, moderner Raum. An den Wänden standen Vitrinen, in denen verschiedene Schädel und Skelettteile aufbewahrt wurden. An der Tafel war eine Zeichnung, die ihr wenig sagte. Sie konnte sich lebhaft daran erinnern, wie sie sich damals in solch einem Klassenraum gefühlt hatte. Biologie hatte nicht gerade zu ihren Lieblingsfächern gehört.
    »Wie ihr euch denken könnt, ist sie wegen Hannahs Tod hier und möchte euch ein paar Fragen

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