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Apollofalter

Apollofalter

Titel: Apollofalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Liane hatte wieder mal erreicht, was sie wollte: Vorn neben ihrem geliebten Vater zu sitzen, den sie mit einem winzigen Augenaufschlag um den Finger wickeln konnte. Als sie sich zu ihrem Bruder umdrehte, sah er den unverhohlenen Triumph in ihren Augen. Gleichzeitig hatte er eine Lehre fürs Leben gelernt. Das nächste Mal würde er zu Hause bleiben. Fieber, Durchfall, Unwohlsein. Irgendeine vorgetäuschte Krankheit würden sie ihm schon abnehmen. Er musste sich nur so überzeugend benehmen wie Liane, dann würden sie auch ihm glauben.
    Die Drosselgasse war eine Ansammlung von Gastwirtschaften, Weinlokalen und Souvenirläden. In jedem Schaufenster der gleiche Kitsch. Unlustig schlurfte er über die holprigen Pflastersteine. Es ärgerte ihn, dass er in der engen Gasse ständig irgendwelchen Touristenströmen ausweichen musste.
    »Guck mal, wie süß!« Seine Schwester zeigte auf einen blauen Plastikfernseher. »Was man da drin wohl sehen kann?«
    Gelangweilt sah er in das vollgestopfte Schaufenster. Warum Liane so etwas süß fand, würde ihm ewig ein Rätsel bleiben. Plötzlich erregte ein Satz Messer seine Aufmerksamkeit, der an der Seite des Schaufensters aufgereiht war. Fasziniert betrachtete er die verschiedenartigen Messer. Taschenmesser, Jagdmesser mit Horngriffen, die in Scheiden steckten. Armeemesser, die man festgeschnallt am Arm unsichtbar unter dem Hemdsärmel tragen konnte.
    »Mir gefallen diese Teller gut«, hörte er seine Mutter sagen. Sie deutete auf das buntbemalte Porzellan, das es in allen Ausführungen gab, von setzkastenwinzig bis gartenzwerggroß. Auf jedem der Stücke prangte die Aufschrift »Rüdesheim am Rhein«. Vater fand die Schilder mit den Sprüchen witzig, die zwischen all dem Krimskrams aufgehängt waren. »Wenn’s Arscherl brummt, ist’s Herzerl g’sund«. Der hatte es ihm besonders angetan.
    Alle zusammen gingen sie in den Laden. Mutter wollte ein richtiges Souvenir – eins, das uns immer an diesen schönen Ausflug erinnert, wie sie sagte. Ein Teller mit geschwungenem Goldrand, Rüdesheim-Ansicht und Inschrift sollte es sein. Vater kaufte den Teller, das Spruchbild und den blauen Spielzeug-Fernseher, den Liane unbedingt haben wollte, und der für beide Kinder gedacht war. Wenn man durch das Guckloch sah und auf den weißen Knopf drückte, erschienen im stetigen Wechsel von einem unsichtbaren Licht angestrahlte Ansichten vom Rhein. Burg Katz. Der Mäuseturm in Bingen. Das Niederwalddenkmal. Weinberge, durch die eine Seilbahn führt. Andreas’ sehnsüchtige Blicke galten weiterhin den Messern. Davon hätte er gern eines gehabt. Aber gesagt hatte er nichts.
    Das Spruchbild wurde zu Hause ins Klo gehängt. Der Plastikfernseher versank bald in der großen Spielzeugkiste und der Rüdesheim-Teller zierte jahrelang die Wand über dem Küchenschrank. Als er eines Tages herunter fiel, weil sich der Aufhänger gelöst hatte, warf man die Scherben ohne großes Bedauern in den Abfall.
    Hinten auf dem Rücksitz klackerten die Fläschchen. Merkwürdig, dass ihm jetzt all diese Dinge einfielen, an die er jahrelang nicht gedacht hatte.
    Er war bereits ein gutes Stück durch das enge Mittelrheintal mit seinen steil aufragenden Hängen gefahren. Der nächste Ort, den er passierte, war Braubach. Er bog auf einen Parkplatz ein, der direkt am Rhein lag, um sich ein wenig die Beine zu vertreten.
    Auf einer Bank saßen zwei Mädchen in Hannahs Alter. Sie hatten die Köpfe einander zugeneigt. Lachten. Tuschelten miteinander in seliger Vertrautheit. Er schluckte hart und schlenderte an ihnen vorbei.
    Als er vorüber war, drehte er den Kopf und schaute zurück. Noch immer saßen die Mädchen eng beieinander. Die eine lachte gerade, schüttelte kokett den Kopf und strich sich dabei das Haar zurück. Eine Bewegung, die er oft bei Hannah gesehen hatte. Oft hatte er gedacht, dass sie genau wusste, welche Gefühle sie mit solchen Gesten in ihm weckte. Das Bild verschwamm vor seinen Augen. Er sah Hannah dort auf der Bank sitzen. Sie winkte ihm zu. »Komm her zu mir«, rief sie spielerisch. »Nun komm schon. Worauf wartest du denn?«
    Sofort folgte das Entsetzen. Die Fassungslosigkeit. Das Nichtverstehen können. Sein Herzschlag stolperte. Etwas in seinem Inneren krampfte sich schmerzhaft zusammen. Hannah, hallte es in seinem Kopf. Ein nicht mehr verstummendes Echo. Hannah Hannah Hannah. Was ist bloß passiert?
     

16
    Hinterhuber hatte den Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt und notierte etwas auf

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