Apollofalter
wies auf den Stuhl neben sich.
»Nennt mir doch bitte eure vollständigen Namen, euer Alter und eure Wohnorte.« Sie hatte ihren kleinen Notizblock gezückt.
»Kathrin Mertens, fünfzehn Jahre, aus Koblenz.«
»Marcus Rehberg, sechzehn Jahre, ich wohne in Güls.«
Hinterhuber kam ebenfalls aus Güls.
»Und wie heißt du mit Nachnamen, Nick?«, fragte sie den anderen Jungen.
»Lehmann«, sagte er. »Ich bin auch fünfzehn Jahre alt und wohne in Winningen.«
»Dann war Hannah mit ihren vierzehn Jahren die Jüngste in eurer Gruppe«, konstatierte Franca, während sie Nick fixierte. »Du hast versucht, Hannah am Sonntag anzurufen, stimmt’s?«
Der Junge starrte auf seine Fingernägel. Sie waren nicht ganz sauber. Dann sah er unsicher hoch. Sein zerknirschter Gesichtsausruck passte nicht so recht zu der progressiven Hahnenkammfrisur. Schließlich nickte er.
»Du kannst dir sicher denken, dass ich es war, die den Anruf entgegen genommen hat.«
»Da war sie schon tot, nicht wahr?« Endlich schaute der Junge sie an. Sein Blick flackerte. In seinen Augen stand Panik. Er sah aus wie ein Tier, das sich plötzlich in einer Falle wähnte, und am liebsten aufspringen und weglaufen würde.
Franca ließ ihn nicht aus den Augen. »Warum hast du denn aufgelegt?«
Er blickte um sich, erst zu Kathrin, dann zu Marcus. Schließlich hob er die Schultern. »Ich war erschrocken.« Er kratzte sich hinterm Ohr. »Ich hatte vorher ein paar Mal versucht, sie anzurufen. Wir hatten noch was miteinander zu besprechen. Doch sie ging nicht ran. Als ich dann Hannahs Nummer auf dem Display sah, hab ich mich gefreut, dass sie zurückgerufen hat. Dann war jemand anders dran. Damit hatte ich nicht gerechnet.«
»Du hast dich also gefreut über ihren Anruf.« Franca nickte. »War es denn so ungewöhnlich, dass sie zurückgerufen hat?«
»Nun ja«, druckste er. Wieder hob er die schmächtigen Schultern. Spielte nervös mit seinem dünnen Oberlippenbart. Franca wartete und behielt auch die beiden anderen im Blick. Kathrin hatte den Kopf gesenkt und schien gar nicht mitzubekommen, worum es ging.
»Warum gibst du denn nicht zu, dass du ihr nachgelaufen bist? Dass du sie regelrecht bedrängt hast. Und dass sie dir eine Abfuhr nach der anderen erteilt hat?« In Marcus’ hellen Augen lag ein merkwürdiger Ausdruck. Franca bemerkte, dass er einen leichten Silberblick hatte.
»Marcus, das stimmt doch so nicht!« Kathrin war aus ihrer Lethargie erwacht und drehte sich zu ihrem Klassenkameraden um. »Was redest du denn da für einen Stuss?«
Um Marcus’ Lippen spielte ein mokantes Lächeln, das Lächeln des Wissenden.
»Es stimmt schon. Marcus hat recht. Ich wollte Hannah gern zur Freundin«, gab Nick zögerlich zu. »Aber sie hat mich nur als Kumpel und so gesehen. Na ja, ich hätte es schon lieber anders gehabt. Aber besser so als gar keinen Kontakt.«
»Habt ihr euch regelmäßig getroffen?«
Er nickte. »Wir arbeiten am gleichen Projekt und sind beide aus dem gleichen Ort. Da läuft man sich zwangsläufig über den Weg. In letzter Zeit waren wir allerdings nicht mehr oft zusammen. Und wenn wir verabredet waren, kam es vor, dass sie einfach abgesagt hat. Oft erst in allerletzter Minute.«
»Und das hat dich geärgert?«
»Na ja, glücklich war ich nicht.«
»Mir ging’s genauso mit ihr«, stimmte Kathrin nickend zu. »Früher, da waren Hannah und ich viel zusammen für unser Projekt.«
»Was war das genau für ein Projekt?«
»Wir haben die Vegetation der Winninger Weinbergterrassen untersucht. Durch die Jahreszeiten hindurch. Dort in den Steillagen findet sich ein ganz eigener Mikrokosmos mit vielen seltenen Tier- und Pflanzenarten«, erklärte Marcus.
»Aber seit dieser Andi auf dem Löwenhof wohnt, hat sich Hannah für unser Projekt nicht mehr richtig interessiert«, ergänzte Kathrin.
Franca horchte auf. »Sie nannte Herrn Kilian Andi?«
Kathrin nickte. »Sie hat mal gesagt, dass er so wäre, wie sie sich ihren Vater vorstellte.«
Franca stutzte. »Wusste sie denn nicht, wer ihr Vater ist?«
Kathrin schüttelte den Kopf. »Ihre Mutter hat sich geweigert, ihr das zu sagen. Angeblich wissen auch ihre Tante und ihre Großmutter nicht, wer ihr Vater ist. Aber das kann ich eigentlich gar nicht glauben. Die wohnen doch beieinander. Da kriegt man doch mit, wenn eine Frau eine Liebschaft hat. Zumal in so einem Dorf.«
»Wenn ihr mich fragt, dann hatte Hannah für diesen Typ keine Vatergefühle, sondern Gefühle ganz anderer Art.«
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