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Apollofalter

Apollofalter

Titel: Apollofalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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läge.
    »Merkwürdig«, sagte er und kratzte sich am Kopf. »Die Spurensicherung findet doch sonst alles. Frankenstein ist geradezu berühmt für seine Zuverlässigkeit.«
    »Ich wundere mich ja auch.« Sie griff in ihre Tasche, nahm einen Plastikbeutel heraus und klaubte das Taschentuch auf, ohne es zu berühren.
    Ein Motorengeräusch war zu hören. Ein Geländewagen kam den schmalen Wirtschaftsweg herauf und hielt genau vor der Hecke. Die Tür öffnete sich. Mühsam stieg eine schmale, gebückte Gestalt aus, die sich suchend umsah. Dabei hielt sie die Hand schützend über die Augen.
    »Das ist die alte Lingat«, raunte Franca Hinterhuber zu. »Was will die denn hier oben?«
    Die Frau schickte sich an, die schmalen Steinstufen hochzusteigen.
    »Warten Sie, Frau Lingat, wir kommen runter«, rief Franca.
    Frau Lingat blieb vor dem Heckenrosenbusch stehen, dessen sattgrüne Blätter in der Sonne glänzten. Sie schien nicht überrascht, Franca und Hinterhuber an diesem Ort zu begegnen. »Hier hat man also unsere Kleine umgebracht«, sagte sie kopfschüttelnd. Das schüttere rotbraune Haar stand unordentlich ab. Es sah kränklich aus. Strohig und abgebrochen. Vom andauernden Färben. Vielleicht auch von zu vielen Dauerwellen. Oder von zu vielen Sorgen.
    Sie legte ihre Hände wie zum Gebet zusammen und hob den Kopf in den Himmel, der von Wolkenschlieren durchzogen war. »Ich verstehe die Welt nicht mehr. Woran soll man denn noch glauben? Woran? Da rackert man sich ab und zieht drei Kinder groß. Eines stirbt vor der Zeit. Und jetzt vergreift sich auch noch so ein Monster an unserer Kleinen ...« Die letzten Worte flüsterte sie.
    Franca sah, dass ihr Tränen die faltigen Wangen hinunterrollten. Marions Worte fielen ihr ein. Dass ihre Mutter ihre Gefühle nicht zeigen konnte. Jedoch in diesem Moment erlebte sie einen anderen Menschen. Eine alte Frau, die unendlich litt.
    »Ist Herr Kilian inzwischen zurückgekommen?«, fragte Hinterhuber nüchtern.
    Frau Lingat sah auf. Ihr Gesichtsausdruck wirkte, als ob sie Hinterhuber erst jetzt wahrnähme. Dann presste sie die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob der sich jemals traut, zurückzukommen. Wenn er Hannah auf dem Gewissen hat, dann Gnade ihm Gott.« Energisch schüttelte sie die Faust.
     

19
    Da war ein Summen in seinem Kopf. Ein Rauschen und Singen. Ein heller sirrender Leitton, der stetig an- und abschwoll und sich mit schwächeren Untertönen vermischte. In seinem Schädel war ein Auf und Ab von disharmonischen Klängen, wie von einem defekten Synthesizer produziert. Bis in die hintersten Hirnwindungen breiteten sich diese Untöne aus und ließen seine gesamte Schädeldecke anschwellen. Vorsichtig öffnete er die Augen. Er lag in einem Bett. Zugedeckt mit einem weißen Laken. Direkt über ihm flackerte bläuliches Neonlicht. Sonst war es dunkel in dem Zimmer. Er drehte den Kopf. Eine Bewegung, die er sofort bereute. Eine Schmerzwelle durchraste seinen Körper. Er glaubte, gleich würde seine Schädeldecke aufspringen und platzen.
    Er hörte ein stetiges Ticken. An seiner Hand befanden sich dünne Schläuche.
    Man hatte ihn angekettet.
    Nadeln pieksten in seine Haut, wenn er sich bewegte.
    Wo war er nur? Was war das hier? Das Jenseits? Die Hölle? Sein Mund war wie ausgedörrt. Sein Hirn ein schlingerndes Gespinst, in dem es rauschte und dröhnte. Er bewegte die Lippen, verspürte Durst. Schrecklichen Durst. Gleichzeitig fühlte er sich zittrig und schwach.
    Da war noch eine Person in dem Zimmer. Er bemerkte ihre Anwesenheit. »Trinken«, flüsterte er, »... trinken.« Doch er wusste nicht, ob ein Ton zwischen seinen trockenen Lippen hervorgedrungen war.
    »Na, sind wir wieder wach?«, durchdrang eine burschikose weibliche Stimme das Rauschen und Sirren in seinem Hirn. Ein Huschen, das einen leisen Windhauch produzierte. Das Geräusch von Gummisohlen auf Kunststoffboden. Er hörte das leise Gluckern von Flüssigkeit. Kurz darauf wurde ihm ein Porzellanschnabel hingehalten. Er spitzte die Lippen. Die Gier schien ihn schier zu überwältigen.
    »Ganz langsam. Nicht so hastig«, sagte die Schwester.
    Er schluckte. Verzog den Mund. Das war nicht der Geschmack, den er erhofft hatte. Das war nicht das Getränk, das das Zittern besänftigte.
    »Was Richtiges«, krächzte er.
    »Hören Sie, mein Lieber, das hier ist was Richtiges.« Der Stimme, die vorher so besänftigend geklungen hatte, war deutlicher Ärger beigemischt. »Wenn Sie Alkohol

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