Apollonia
mal all die schlechten Nachrichten ringsumher und erinnerten sich wieder, wie schön es doch ist auf der Welt, und dann rief der Obertruppführer Vogler, dass es noch ganz viele Flaschen Rüttgers Club gebe, und alle sangen: »Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern« und »In der Nacht ist der Mensch nicht gern alleine«. Kunigunde und Theodora hatten nicht behalten können, welche Lieder von den Juden waren, und sangen »Ein Freund, ein guter Freund« und »Mein kleiner grüner Kaktus« und »Maier am Himalaya« und »Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist!«. Irgendwann gaben Vogler und Mörser auf und sangen mit.
– Hauptsache, sagte Malwine, wir hören heute Abend mal nicht das »Westerwaldlied«. Das hören wir doch den ganzen Tag. Oh du schöhöner Wehehesterwald! Tausendmal trampeln die da an einem vorbei.
– Naja, da marschieren die gut, so lernen die das am besten, die Jungen, sagte Schröder.
– Kommt mir zu den Ohren raus.
– Naja, vielleicht, sagte Schröder, ist ja irgendwann mal ausgetrampelt.
– Schröder, was quatschst du da?!, schrie Vogler. Der Endsieg ist nah!!!
– Ja, sagte Schröder … das meine ich ja.
– Oooooh, du schöhöhöner Wehehesterwald, sang Malwine.
– Über deinen Höhen pfeift der Wind … pfft … so kalt, trällterte Kunigunde.
– Jedoch der kloinste Sooonenschaain … dringt tüüüf … ins Höörz … hinein …
– Eija … sagte Vogler. Zackig.
– Wir wissen es jetzt, sagte Kunigunde, ihr müsst das nicht immerzu singen. Ihr könnt auch mal was anderes singen, wenn ihr da rumtrampelt, wir sind schon ganz taub.
– Singt doch mal »Oh du schöner Odenwald«, sagte Theodora.
– Wir haben gar nicht mehr genug Leute zum Trampeln, sagte Schröder bedrückt, ich weiß gar nicht, wo ich so viele junge Leute für den Arbeitsdienst rekrutieren soll. Wenn ich die Sechzehnjährigen für den Wehrdienst vorbereite, dann weiß ich doch, wo die hingehen. Und immer wieder kommt der kleine Egon und fragt, ob er Soldat werden kann. Der will unbedingt, und er ist fünfzehn.
– Ein Vorbild, rief Vogler. Das lob ich mir! Unsere Jugend!!
– Ach Armin!, rief Malwine. Jetzt ziehst du wieder so ein Gesicht! Du hast mir versprochen, dass wir heute lustig sind!
Dann tanzten sie alle auf »Dackel Waldemar«, und Feldmeister Schröder gab sich die größte Mühe, ein fröhliches Gesicht zu machen. Er sagte:
– Verzeih, Malwine, ich habe so großes Glück, dass ich dich getroffen habe – du bist ja immer so voller Leben und kannst dich so freuen und stürzt dich ins Getümmel … und tanzt und machst … die blanke Lebenslust … ich hoffe, dass ich dir nichts verderbe …
– Hä?, sagte Malwine. Ich denke mal, ich habe doch jetzt das große Los gezogen! Ich bin Frau Feldmeister! Wir wohnen in der Villa! Was gibt es denn da groß zu verderben!! Wir machen es uns erst mal schön gemütlich, und wenn der Krieg gewonnen ist, dann sieht alles anders aus! Natürlich, jetzt gerade muss man die Zähne zusammenbeißen, es gibt ein Gejammer, den ein oder anderen trifft es, aber Hauptsache, wir kommen durch, nicht wahr? Man darf den Kopf nicht hängen lassen, Prösterchen, mein Süßer!!
Dann drehte sie sich zu Kunigunde und meinte, manchmal müsse sie ihm auch ein wenig gut zureden, da er schon in der Bredouille stecke. Immer der Nachschub für die Front und so, er nimmt sich das so zu Herzen … aber dafür sei man als Frau ja da: dem Mann den Rücken zu stärken und ihn aufzumuntern, und das könne sie, Malwine, wie keine andere. Und jetzt Schluss mit dem Trübsal blasen!
Noch lange brannte Licht im Kasino vom Reicharbeitsdienst auf dem Haselbacher Feld, und in der Grubenvilla gingen erst um vier Uhr die Lichter an, aber nur schwach, und dann endlich sollte sich bewahrheiten, was Malwine schon so oft gesungen hatte: Für eine Nacht voller Seligkeit, da gab sie alles hin.
Und am Morgen wartete auf sie die Emaillewanne am gusseisernen Badeofen mit vier Füßen und einer geschmiedeten Ofenklappe.
Meine Großmutter Apollonia hatte Schmand gesammelt und in der Kirn gestampft, um Butter zu machen, bis ihr der Arm lahm war. Und sie dachte an ihre Schwester Hanna in Langdehrenbach, die schon ein Butterfass hatte mit einer Kurbel und einem Kreuz daran, womit alles schneller ging. Aber Apollonia musste stampfen. Die Magermilch, die übrig blieb, bekam das Vieh, und aus dem Sud machte sie noch Stinkkäse. Sie rollte ihn zu schönen Kugeln und setzte
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