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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Held
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Soldatenstiefel von Verdun und von der Somme und vom Arbeitsdienst und gottweißwoher herbeischleppten. Sie war ja beinahe siebzig Jahre alt und sah nicht mehr gut, und es war schwere Arbeit, mit der Ahle die Löcher ins Leder zu stechen. Da mussten alle mithelfen, die ganze Familie, aber es wollte ja keiner bezahlen, es hatte ja keiner was, kein Geld und kein gar nichts, und auf einmal sagte die alte Berta: Leckt mich doch in die Tesch.
    Also hatte meine Mutter Marianne immer noch keine Schuhe, bis sie einen Bezugsschein bekam und ein Paar Leinenschuhe kaufen durfte in Wällershofen. Das Geschäft vom Schajs Simon war leer, und das Geschäft vom Sattler Fuld war leer, und das Geschäft von Zigarrenhändler Strauss und das feine Wäschegeschäft Thalheimer waren leer, und das Haus der Doktoren Ullmann war auch leer, und das Haus vom Lehrer Silbermann ebenso, und die Häuser von den ärmeren Fellhändlern auch. Man hat nie mehr was von ihnen gehört, aber Onkel Balduin hat später erzählt, dass er gesehen hat, wie sie die Juden zum Bahnhof getrieben haben, wie lauter Verbrecher. Das weiß er bis heute.
    Das Haus der jüdischen Familie Thalheimer stand noch immer in Wällershofen, es hatte nur andere Besitzer. Aber man konnte dort Wäsche kaufen, wie vor fünfunddreißig Jahren, und so kauften wir ein geblümtes und ein aprikosenfarbenes und ein rosé gestreiftes Nachthemd mit Volant am Hals für meine Großmutter Apollonia, und außerdem zwei neue Kissen- und Bettbezüge und vier Laken zum Wechseln. Wenn nun die Gemeindeschwester so oft kam, dann sollte Oma doch nach was aussehen, und wir mussten genug Bettzeug haben, und alles sollte ordentlich gerichtet sein, und wenn Apollonia geschwitzt war, konnte man sie öfter mal umstrippen. Jetzt kamen viele Leute und wollten Apollonia sehen, als wüssten sie, dass nun bald ihre letzte Stunde gekommen war. Dabei konnte Apollonia doch Leute auf den Tod nicht ausstehen, aber was wollte man machen? Wir konnten sie ja nicht alle rauswerfen. Also kamen einige Zimmerleute und die Schwestern und alle Nachbarn, und sie benahmen sich ordentlich. Sie wollten nur noch ein wenig bei ihr sitzen und sagen, no, Lona, wie is dir dann?
    Auch Apollonia benahm sich ordentlich, und es war, als hätte sie auf einmal gar nichts dagegen, dass Leute kamen, und als wäre sie ein ganz normaler Mensch, der sich mit jedem unterhalten konnte, und sie sagte Worte wie:
    – Ach noja, was will man machen, mer kann es jo net ändern …
    Oder sie sagte: – Och, heut is es doch schön, was macht denn euer Liesel, wie geht et dem Lenchen … hadd dann der Alfons datt Vieh noch? Der hadd doch immer den schwere Ochs …
    Oder sie schnarchte einfach vor sich hin, und die Leute saßen um sie herum und unterhielten sich über ganz etwas anderes, über die Äpfel, die sie gekauft hatten und die hinterher ganz faul gewesen waren, und über die versoffene Marlene und über die Vögel, die die Kirschen fortfraßen, und über die Zeitung von vorgestern. Ich dachte mir, das ist alles ganz richtig, so wie es ist. Der Dr. Samstag kam jeden Tag und gab ihr eine Spritze, und die Spritze hat auch nichts mehr verschlimmern können und zeigte keinerlei Ausrichtung, ich habe vergessen, was sie bewirkte.
    Wenn ich alleine mit ihr war, las ich ihr die »Neue Post« vor oder die »Sieben Tage« oder das »Neue Blatt«.
    – Das Kind von Silvia und König Karl Gustav heißt: Victoria Ingrid Alice Désirée Kronprinzessin von Schweden und Herzogin von Västergötland ! Die kleine Prinzessin ist schon ganz kräftig und gesund und beschert dem Königspaar einen freudigen Sommer … oder hier: Die Todesschüsse der Ingrid van Bergen! Nun sitzt sie abgemagert im Frauenknast! Was geschah wirklich in der Todesnacht? Rasend vor Eifersucht wartete die Filmschauspielerin betrunken in der Nacht … oder hier: Lord Snowdon und Prinzessin Margret – Scheidung!!! Nach den ständigen Alkoholexzessen von Prinzessin Margret wurde Lord Snowdon schon wieder mit seiner Assistentin Lucy in einem Londoner Nachtclub gesehen. Nun ist die Ehe des schillernden Paares endgültig zerrüttet! Das britische Königshaus zeigt sich entsetzt.
    Manchmal hörte sie zu und dann auch wieder nicht, und manchmal schien sie gar nicht mehr recht da, als würde sie ihren Verstand nur noch zurechtsammeln für den Besuch. Sie sagte meinen Brüdern, sie sollten sich die Haare kämmen oder sie sollten nicht die Mädchen ärgern, und dann nannte sie meinen ältesten

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