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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Held
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diese zum Trocknen auf ein Brett und danach in den blauen Steintopf aus dem Kannebäcker Land, bis sie faul waren und stanken.
    Meine Großmutter Apollonia hatte den faulen Käse immer für Klemens gemacht, und Klemens hatte ihn am liebsten, wenn er durch und durch faul war, dann aß er ihn mit Zwiebeln und Butter auf frischem Brot aus dem Backhaus, das war sein Leibgericht. Jetzt stank der Käse die ganze Kammer voll, und sie konnte ihn nur den Ruhrpottwitwen geben oder den Kölnern. Irgendeiner musste ihn nehmen. Von Klemens gab es noch keine Nachrichten, nur eine Postkarte aus Metz. Bei Metz musste er zerstörte Brücken wiederaufbauen und den Unterbau von zerstörten Straßen reparieren und Brückenpfeiler und Luftschutzkeller machen, beim Pionier-Brückenbau-Ersatz-Bataillon. In einer Art Rührung formte meine Großmutter einen besonders schönen Käse aus dem Magermilchsud und setzte ihn auf das Käsebrett und dachte dabei an meinen Großvater Klemens, und sie war wieder in Frankreich und wie es ihnen doch gutgegangen war, als sie an den Lavendelfeldern vorbeigefahren waren und an der Garonne gelebt hatten und bei Bordeaux und in Marseille. Wie glücklich waren sie da gewesen. Wie mochte es Klemens jetzt ergehen? Im Krieg, da gab es keinen Schnaps, und da, wo es ihn hin verschlagen hatte, mochte es um Leben und Tod gehen. Vielleicht brachte es ihn doch zur Besinnung, und wenn er wiederkam, war er womöglich der letzte Mann von Scholmerbach?
    Vielleicht durfte sie sich nicht immerzu beschweren, und wenn Klemens da war, gab es wenigstens ab und zu etwas zu lachen, und Klemens konnte doch den Kühen mal gegen den Kopf gehen und auf dem Feld die Garben binden und bei der Heuernte die schweren Fuder auf den Wagen werfen und den Wissbaum auf das Heu tun. Wenn er auch gerne einen trank, so war er doch ein Mannskerl, zwar keiner, der sich ordentlich benahm, aber doch einer, der einem Respekt verschaffen konnte, wo so viel fremdes Volk durch die Dörfer zog und so viele Hungerleider. Jetzt waren ja nur Weiber im Haus.
    Vielleicht, wenn Klemens wiederkam, sollte sie ihm eine bessere Frau sein. Hanna und Klarissa hatten immer gesagt, sie solle nicht so ein stures Gesicht machen. Der Klemens sei gesellig und habe gerne Leute um sich, und da müsse man auch mal mittun, und kein Mann kommt gern nach Hause zu so einer finsteren Miene, da wird ja die Milch sauer. Sie hat schließlich vorher gewusst, dass Klemens ein lustiger Kerl ist und dass bei den Zimmerleuten viel gelacht wird, damit muss sie jetzt leben, und wenn sie es ihm ein wenig freundlicher und gemütlicher macht, dann wird er nicht immer woanders suchen, was er daheim nicht hat. So haben es ihre Schwestern gesagt, und vielleicht war da was dran. Es ging ihr jetzt andauernd durch den Kopf, sie hatte ja genug Zeit, darüber nachzudenken, und der Käse hatte lange, lange Zeit zum Faulwerden und so zu stinken, dass jeder umfiel, der in die Kammer ging.
    Meine Mutter Marianne hatte lange Zeit nur ein Paar Schuhe, und sie musste die Schuhe tragen, bis sie auseinanderfielen und die Nägel einer nach dem anderen verloren gingen, erst dann konnten sie zum Schuster nach Linnen. Herminches Großmutter Berta von gegenüber hatte noch Schusterleisten vom Urgroßvater gefunden und angefangen, ein Paar alte Soldatenstiefel über die Leisten zu ziehen, und betrachtete den klobigen, zertretenen Stiefel von allen Seiten, ob sich noch etwas daraus machen ließe. Die alte Berta hatte als Kind ihrem Großvater bei seinem Handwerk immer zugesehen, und so suchte sie sich den Schusterhammer, den Klopfstein und die Ahle und überlegte, wie sie mit der Zange und dem Kneipmesser so schneiden könnte, dass das Leder für einen neuen Schuh reichte. Nach einer Weile sah man sie, die Nägel in den Mund geklemmt, klopfen und leimen, und so hat sie Herminchen aus dem alten steifen Stiefel vom verstorbenen Uronkel ein ordentliches Schuhwerk zusammengehauen. Kaum aber hatte sich herumgesprochen, dass Berta Schuhe flicken und aus einem alten Stiefel einen neuen Schuh machen konnte, schon fand der ein oder andere Scholmerbacher einen alten Stiefel aus dem Ersten Weltkrieg, und die Ruhrpottwitwen fanden ganz viele Soldatenstiefel, beim Reichsarbeitsdienst, die lagen da herum und gehörten keinem. Sie rafften sie zusammen, der Herrgott wird schon ein Auge zudrücken. In der Not ist sich jeder selbst der Nächste, Not kennt kein Gebot.
    Der alten Berta aber war es zu viel, dass alle Leute ihre alten

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