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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Held
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beinahe nicht mehr wiederkommen wollte.
    Wahrscheinlich ist er gleich übergelaufen, hat meine Mutter Marianne gesagt. Meine Mutter hatte es sich immer so vorgestellt, dass mein Großvater weit entfernt von jedem bedeutenden Gefecht irgendwo mit dem Gewehr in Frankreich herumgetrödelt ist und vielleicht hinter einem Bauernhof im Gebüsch gesessen hatte, und sobald die Amerikaner aufgetaucht waren, ist er ihnen freudestrahlend entgegengesprungen und übergelaufen mit wehenden Fahnen. Jedenfalls hat er keinesfalls gekämpft. Wieso soll man denn gegen den Ami kämpfen, wo er einen befreit von einem Mörder und Verbrecher und Wahnsinnigen, das fiel meinem Großvater im Traum nicht ein. Jedenfalls war mein Großvater Klemens für den Krieg nicht zu gebrauchen gewesen, aber er war ein großartiger Gefangener.
    Das Kriegsschiff brachte ihn in den Hafen von Norfolk, wo es von Kriegsschiffen nur so wimmelte, und dort durfte er duschen und wurde entlaust. Dann aber brachte man ihn nach Boston, und in Boston musste er Kartoffeln auflesen und Kartoffeln auflesen hatte er in Scholmerbach nie gewollt. Der Kappesgarten war nicht dasselbe wie die Kartoffelfelder von Boston, wo er sich den Rücken krumm und buckelig arbeiten musste und sich bücken für all die Amerikaner, die an seiner statt nun in Frankreich und in Deutschland kämpften. Einer musste diese Kartoffeln austun und es waren viele, verdammt viele Kartoffeln in Boston. Sollte mein Großvater sich jemals gedrückt haben vor der Arbeit, so war es damit endgültig Schluss auf den Kartoffelfeldern von Boston, und er musste sich bücken im Angesicht des Feindes, der wütend war, weil die eigenen Männer fehlten und ihren Boden nicht bestellen konnten, und so musste mein Großvater sich noch tiefer bücken über der amerikanischen Erde und so viele Kartoffeln wie möglich in die Körbe werfen und die Erde von Boston war schwer.
    Danach aber ging es die Küste herunter und zurück nach Norfolk, und von da an mit dem Zug quer durch Virginia, Oklahoma und Nebraska, und mein Großvater sah helle Holzhäuser mit Menschen auf der Veranda, die lasen oder plauderten, überall rollten glitzernde Autos, die Schilder trugen englische Namen und all die Menschen, die vielen Menschen, und manche winkten ihnen sogar zaghaft zu, das alles gefiel ihm so gut. Sie landeten in einem großen Gefangenenlager für sechshundert Soldaten, wo schon die Gefangenen aus dem Rommelfeldzug in Afrika lagen und die Soldaten aus der Normandie. Das Lager hatte eine Kantine und eine Kirche, ein Theater, eine Schule und eine Bibliothek, und man bekam sogar einen Tageslohn von achtzig Cent und konnte sich was kaufen zum Rasieren und ein Wörterbuch zum Englischlernen. So viel Glück hatte mein Großvater. Natürlich, er musste Holz schlagen und im Wald arbeiten und Mais pflücken und Baumwolle ernten und in der Küche Kartoffeln schälen, aber in Amerika kam es ihm gar nicht so vor, als ob es Arbeit wäre. Er lernte Englisch, und er hörte Radio, und er las die Kriegsgefangenzeitung und interessierte sich dafür, was in Amerika gerade passierte.
    Es ging den Gefangenen so gut, dass die Amerikaner schimpften und die Lager »Fritz, the Ritz« nannten. Mein Großvater war dafür überaus dankbar und benahm sich wie durch ein Wunder tadellos und machte alle Arbeiten freudig und von ganzem Herzen. Die mit ihm in der Gefangenschaft waren, erkannten ihn nicht wieder. Er war sogar so guter Stimmung, dass er den ganzen Tag beim Arbeiten sang, und wenn er das Lager fegte, hörte man das »Heideröslein«, oder »Am Brunnen vor dem Tore« oder das »Ännchen von Thaurau« oder die »Königskinder«.
    In der Wäscheausgabe aber saß ein alter Kriegsveteran, der hieß Joe. Er hatte tiefdunkle Haut und einen weißen Bart und sah nicht mehr ganz gut, aber er sortierte noch die Hemden und die Hosen, und wenn ein Gefangener kam, dann gab er ihm frische Unterwäsche und Handtücher und Socken. Joe sang beim Wäschesortieren auch immer vor sich hin und er sang von der Darling Clementine und der Walzing Mathilda und der Oh Suzanna und von Alabama.
    So sang also immer auf der einen Seite mein Großvater das Heideröslein und auf der anderen Seite der alte Joe die Clementine, und dann auf einmal drehte Joe den Kopf und hörte verwundert dem Heideröslein zu, und das Heideröslein und Clementine kamen durcheinander, und dann sang er wieder von Alabama und vom Lord und mein Großvater sang das »Großer Gott, wir loben dich«.
    Da

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