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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Held
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merkten sie, dass sie einander sympathisch waren und mein Großvater fegte das Lager immer vor dem Fenster mit der Wäscheausgabe und Joe und Klemens sangen einander vor und hatten Spaß. Als sie aber alle Lieder schon gesungen hatten, die sie kannten, fingen sie an, kreuz und quer Weihnachtslieder zu singen, denn es wurde kalt, und es wurde Winter, und es näherte sich Weihnachten 1944/45.
    Als aber mein Großvater Klemens »Stille Nacht, Heilige Nacht« sang, da hörten es auch die amerikanischen Soldaten und sie erkannten es. Es gefiel ihnen so gut, dass Klemens vorsingen musste, und dann sang der alte Joe »Silent Night, Holy Night«, und schließlich sangen alle zusammen, die Deutschen und die Amerikaner, auf Deutsch und Amerikanisch, und es war ein wunderschönes Weihnachtsfest geworden.
    Da war ein wenig Frieden im Gefangenlager geworden, noch bevor der Krieg zu Ende war, und mein Großvater war glücklich, und mehr hatte er nicht tun können, das war alles, was er hatte Adolf entgegensetzen können, und nicht mehr.
    Er hatte ein Ei an die Wand werfen und eine Glocke vergraben können, und er hatte an der Theke schwadroniert und sich in der Schlacht um Metz gleich gefangen nehmen lassen und Kartoffeln ausgegraben und den Feinden ein Lied gesungen, so schön er nur konnte. Das war der Widerstand meines Großvaters Klemens im Dritten Reich.
    Die rote Karte mit der Aufschrift »Gefangenmeldung für Kriegsgefangene« von der amerikanischen Armee, mit der man Apollonia die Gefangennahme und das Lager von Klemens mitgeteilt hatte, steckte nun schon lange hinter der Scheibe vom Küchenschrank und gleich dahinter ein Faltbrief aus dem Lager Atlanta von Nebraska, auf dem mein Großvater geschrieben hatte, dass es ihm gutgehe und die Amerikaner ihn freundlich behandelten und er im Feld Mais ernten würde, und dass er hoffe, es würde ihnen allen gut ergehen.
    – Du musst ihm auch einmal schreiben, sagten Tante Klarissa und Tante Hanna.
    Das aber befand meine Großmutter Apollonia für nicht notwendig, sie hatte im ganzen Leben noch keinen Brief geschrieben und wusste gar nicht, was es aus Scholmerbach zu berichten gab. Meine Mutter Marianne aber glaubte, dass sie ihrem Vater ein paar Zeilen nach Amerika schicken sollte, so wie alle im Dorf ihren Männern herzzerreißende Briefe schrieben und die Soldaten überall in der Fremde auf ein Lebenszeichen warteten, und meine Großtante Hanna meinte, Apollonia sei stur wie ein Bock. Da könnte ja einer umkommen und im Feindesland begraben sein, und sie bekümmerte sich um nichts! Wie man nur so herzlos sein könnte, das hätte ja sogar der Klemens weißgott nicht verdient, dass man ihm nicht mal einen Brief schreibt. So sei es nicht, sagte Apollonia, sondern sie kann sich einfach nicht vorstellen, was einer da in Amerika treibt und wie das da aussieht, und sie weiß nicht, wem sie den Brief geben soll, und ihr fällt da nichts ein. Ja mein Gott, sagte Hanna, dass dou dich freust, dass er noch lebt! Und dass dou hoffst, er kommt bald wieder! Dass ihr, Marianne und du, gesund seid und genug zu essen habt! Dass der Feind noch nicht in Scholmerbach ist und dass ihr einen Gaul habt! Es grüßen aus der Heimat … inniglich, deine liebe Frau Apollonia und dein dich liebendes Kind Marianne! Das kann doch nicht so schwer sein! Dou stellst deych an!
    Da musste meine Großmutter sehr mit sich ringen und lange überlegen, und schließlich setzte sie sich mit meiner Mutter Marianne an den Küchentisch und schnitt aus ihrem Schulheft säuberlich ein Blatt Papier heraus und tunkte die Feder in die Tinte und saß dann stocksteif da. Die Kerze brannte schon, und es war Verdunkelung, und es dauerte lange, bis Apollonia, den schweren Dotz im Nacken, sich herniederbeugte und in steil gemalten Sütterlinzeilen säuberlich auf die bläulichen Linien schrieb:
    Lieber Klemens,
    wir haben uns gefreut zu hören, dass es Dir gut ergangen ist und Du nicht verwundet bist. Hoffentlich hast Du immer genug zu essen und kannst wieder nach Hause kommen. Marianne und ich sind gesund und bislang unversehrt. Scholmerbach ist noch nicht im Krieg, wir hatten gottlob keinen Kampf. Wir haben einen Gaul. Es grüßen aus der Heimat … deine Apollonia und dein dich liebendes Kind Marianne.
    Dann steckte sie den Brief in einen Umschlag und klebte ihn zu und schrieb darauf:
    – Prisoners of War – Gefangenenlager Atlanta – Nebraska – Gefangener Klemens Heinzmann.
    Damit war es vollbracht. Sie brachte den

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