Apollonia
verstehen!
– Ist das eine blöde Kuh, sagte Stefanie.
Jim blickte ratlos hin und her und her und hin und wollte unbedingt eine weitere Schlägerei verhindern, und ich biss mir auf die Lippen und fand alles, was ich vermutet hatte, bestätigt.
– Hey girls, sagte Jim, hey girls – come on!
Und ich sagte:
– Du billiges Flittchen.
Und Bea sagte:
– Musste es denn der Jim sein? Das tut ihr doch weh!
Und Lydia sagte:
– Die törichte Jungfer Marie … das tut einem Mann auch weh, wenn man ihn immer am ausgestreckten Arm …
– Ein wenig verstehe ich das, sagte Brigitt. Manchmal muss ein Mann tun, was er tun muss, sonst bricht dem einer ab, sonst platzt dem da was.
– Was?, schrie ich. Hältst du auch noch zu ihr!!?
– Na, vielleicht hat sie sich geopfert!!
– Eben, sagte Lydia. … Mann, ich weiß gar nicht, was ich hier soll, ich könnte an der Costa Brava sein, stattdessen trage ich Kohlköpfe in den Wald.
Ich wusste nicht, wo ich hinsehen sollte, zu Lydia oder zu Jim oder zu meinen Freundinnen, und wem ich zuerst eine reindonnern sollte und ob ich nicht umgeben war von Lügnern und Betrügern und Verrätern. Ich wollte sie alle umbringen mit Dornen und Brennnesseln und den Ästen, die hier herumlagen, aber da kamen auf einmal die Jeeps angerollt mit so vielen Soldaten, als sei wieder ein Weltkrieg ausgebrochen. Jim küsste mich und sprang auf einen Jeep und schrie: »Bye, Sweety« und »Love you«. Bea, Stefanie, Brigitt und mir war unheimlich geworden, und ich presste das Päckchen mit Jims Army-T-Shirt, in dem er geschlafen und an mich gedacht hatte, an mich und wollte es ihm hinterherwerfen und behielt es dann doch, als meine Freundinnen mich packten und von ihm wegzogen, während die Panzer auf uns zurollten.
Es war im Jahre 1944, als die deutschen Panzer in Richtung französische Küste rollten, um den Atlantikwall zu verstärken gegen einen Angriff der Alliierten. Die Moselbrücken waren repariert, und die Straßen waren befestigt, und der Krieg konnte weitergehen, mit Hilfe meines Großvaters Klemens, der noch immer im Pionier-Brückenbau-Ersatz-Bataillon arbeitete, und mit Hilfe meiner Großonkel Konrad, Dagobert, Hannes und Ewald, die den Westwall gebaut hatten, und mit Todt und dann mit Rommel an die Küste zogen und den Atlantikwall verstärkten.
Doch am 6. Juni 1944 landeten die alliierten Truppen in der Normandie und machten in kurzer Zeit die Arbeit meiner Verwandtschaft zunichte, und schon im August waren alle Brücken von Metz über die Mosel gesprengt.
Nun sollte es für die Soldaten des Großdeutschen Reiches anders kommen, als es unser herrlicher Führer Adolf in seinen kühnen Plänen für ein glorreiches Deutschland vorausgesagt hatte, und statt dass die Welt bewundernd auf uns schaute und unseren Ruf erhörte und unseren Glanz erblickte und der Erlösung folgte, schlug die Welt zurück in ihrem grenzenlosen Unverstand und verdarb sich das eigene Glück, das unser großartiger Adolf für sie vorgesehen hatte, und zerstörte die Rettung in einer mächtigen Invasion und einer feindlichen Niedertracht, die unser großer Adolf nicht verdient hatte und unsere siegreichen Truppen nach langem Ringen und schweren Kämpfen schließlich zum Rückzug bewegten.
Meinen Großvater konnten sie allerdings beim Rückzug nicht mitnehmen, denn den hatten die Amerikaner bei der Schlacht um Metz gefangen genommen und im September 1944 auf einen Lastwagen gesetzt und zum Hafen gefahren, und dann ging es ab mit dem Schiff in die Vereinigten Staaten von Amerika.
Amerika war das doch. Der war doch … in Amerika. Von den Amerikanern gefangen genommen. In … wahrscheinlich Frankreich. Oder in Afrika. Oder … der war doch im Volkssturm. Und dann haben ihn die Amis geschnappt, irgendwo. Genau weiß es keiner mehr.
Es steht aber geschrieben in Berlin, und so war meine Mutter Marianne die Einzige, die recht hatte und wusste: Es war Frankreich gewesen, denn Bernhard von der Tankstelle hatte gesagt, er war in Afrika, und Onkel Kunibert sagte, der Klemens, der war doch Volkssturm, der war doch hier im Westerwald, um die Dörfer zu verteidigen. Als ob die Amerikaner meinen Großvater in der Schlacht um Hellersberg oder Linnen festgenommen hätten und es sich gelohnt hätte, ihn vom gefährlichen Ellingen nach New York zu schaffen. Aber alle wussten: In Gefangenschaft war der, und das hat dem auch noch gefallen. So sagten sie. Klemens hat es so gut gefallen in der Gefangenschaft, dass er
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