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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Held
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Brief zu Honiels, die hatten die Poststelle und das Geschäft, und dann ging der Brief in die weite Welt. Aber Apollonia hatte sich nie vorstellen können, wo das war, Amerika, und was Klemens dort machte, und wie das aussehen sollte und überhaupt: Alles, was im Krieg geschah, das hat Apollonia, so sagte meine Mutter, einfach nicht so recht wahrgenommen, das war weit fort von Scholmerbach.
    Die Amerikaner würden den Brief sicherlich sowieso nicht dahinbringen, wo er hin sollte. Was sollten sie mit einem Brief aus Scholmerbach für irgendeinen Westerwälder und sich die Mühe machen, ihn zu suchen in den vielen Baracken und Löchern, wo sie die Abertausend deutschen Gefangenen hineinstopften – schon gar nicht, wenn sie so böse auf die Deutschen waren, dass sie Köln und Koblenz und ganz Frankfurt in Schutt und Asche warfen und schon am Westwall waren!
    Sie waren schon am Westwall! Da mussten Böllsbach und Pfeifensterz und Wennerode und Linnen und Scholmerbach verteidigt werden, bevor der Feind kam und Scholmerbach und Hellersberge und Ellingen auch noch unterwarf und es allen Dörfern so ging wie Köln und Frankfurt. Man konnte sich doch nicht kampflos geschlagen geben, nein, man musste kämpfen bis zum letzten Mann!
    Da sah der kleine Egon seine Stunde gekommen, er war nun im Volkssturm! Und mit den Hitlerjungen Fränzchen und Juppchen durften sie endlich los, und man brachte sie nach Merzig an die Saar, um den Feind aufzuhalten, damit der nicht über den Westwall gelangte. Und man befahl ihnen, ein Loch zu graben, ein tiefes Loch, und wenn der Feind aus Frankreich nichtsahnend mit dem Panzer über den Wall fuhr, dann würde der Panzer in dieses Loch hineinfallen!
    So stürzten sich Juppchen, Franz und Egon begierig mit Schaufeln und mit Schippen auf die blanke Erde, in der mächtigen Vorfreude darauf, wie der Engländer oder der Ami mit seinem schweren Gerät in die Grube stürzte, und sie drei, ein Scholmerbacher, ein Ellinger und ein Linner Bub hatten das hingebracht!
    Doch am zweiten und am dritten Tag waren ihnen schon die Arme und die Beine lahm, und der Boden war schwer und nass, und es wurde kalt und regnerisch, und sie hatten kaum mehr Erde ausgehoben als bis zu ihren Knien. Auch wenn ihnen noch der ein oder andere Junge half, so schienen sie gar nicht voranzukommen, und nur einmal am Tag brachten ihnen die Mädchen vom BDM ein wenig Suppe. Nachts schliefen sie in einer Scheune und hatten keine Decken und konnten sich nicht waschen und wurden immer schmutziger und schmutziger, sodass es ihnen unheimlich wurde. Doch um sich Mut zu machen, sangen sie im Dunkeln immer noch: – »Es zittern die morschen Knochen, der Welt vor dem roten Krieg, wir haben den Schrecken gebrochen, für uns war’s ein großer Sieg.«
    Und wenn es wieder Tag wurde und sie weitergruben, und die Arme taten ihnen weh, und die Blasen an den Händen brannten, dann sangen sie :
    »Wir werden weitermarschieren, wenn alles in Scherben fällt, denn heute gehört uns Deutschland, und morgen die ganze Welt. Und liegt vom Kampfe in Trümmern die ganze Welt zuhauf, das soll uns den Teufel kümmern, wir bauen sie wieder auf!«
    Als es aber wieder Nacht wurde und sie nach sieben Tagen noch immer gruben und das Loch immer noch nicht tiefer wurde und sie vor Schlamm und Dreck und Hunger kaum schlafen konnten, sangen sie nur noch: »Und mögen die Alten auch schelten, so lässt sie nur toben und schrei’n, und stemmen sich gegen uns Welten, wir werden doch Sieger sein!!«
    Nach sieben Wochen, in denen Egon am immer selben Loch grub und es immer nasser und tiefer und schmutziger wurde und er so schmutzig war und noch immer dieselbe Unterhose anhatte und vor Dreck starrte und beinahe festfror, und er so hungrig war von der Wassersuppe vom Bund deutscher Mädchen, da glaubte er, umkommen zu müssen vor Elend und vor Heimweh nach Scholmerbach.
    Schließlich fasste er klammheimlich einen Plan mit Juppchen und Franz, und noch in derselben Nacht im tiefsten Dunkel schlichen sie klammheimlich aus der Scheune und schlugen sich in die Wälder. Von nun an waren sie der Verfolgung der Gestapo ausgesetzt, und die drei Fünfzehnjährigen glaubten überall erschossen zu werden. Sie folgten der Himmelsrichtung und bei klarem Sternenhimmel den fernen Ortsschildern und versuchten immer herauszufinden, wo sie gerade waren, und irgendwann sprangen sie unerlaubt auf einen Zug. So waren sie über eine Woche immer nur nachts unterwegs und schafften es schließlich

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