Apollonia
Dapprechter Urgroß-Andergeschwister Tante Lieschen war ich dem Ruf des Waldes gefolgt und hatte das Luder in den schattigen Blätterhöhlen gefunden, wo Fuchs und Reh sich gute Nacht sagen. Liddi, jetzt hatte ich sie!! Nun hätte ich meine Freundinnen gebraucht, die jetzt die »Bravo« lesen mussten und nicht da waren. Wer schrie da »Liddi«?
Als ich um den Baum herumlugte, sah ich einen bläulichen Stoff flackern, der passte nicht zur Army-Bekleidungsvorschrift. Das war eindeutig eines von jenen losen Verlockungsfähnchen, mit denen willenlose und willfährige Menschen männlicher Natur in den Bann gezogen werden sollten. Und dort erklang der Ruf: Liddi.
Ich war mir nie ganz sicher, ob ich das, was jetzt geschah, nur geträumt hatte oder ob es Wirklichkeit gewesen ist …, aber ich glaubte, Lydia Kosslowski zu sehen, die sich von einem Baum löste und Jim entgegeneilte. Mein Jim, der mir die Liebe geschworen hatte, lief wie in einem alten Film, kaum dass er von einem Bein auf das andere kam, auf die violett und blau und lila beperlte Lydia zu und warf ihr jauchzend etwas zu, und sie fing es auf und jauchzte auch … dann kam er ihr näher und sang … sang er wirklich, sang sie? Ich erinnere mich nicht genau, doch er erreichte sie in seltsamen Sprüngen, und ich spürte auf einmal die Hand von Bea auf meiner Schulter und den tippenden Finger von Stefanie und sah Brigitts Nase neben mir auftauchen. Und gerade, als Lydia Jim um den Hals fallen wollte für eine leidenschaftliche Umarmung, stürmten Stefanie und Brigitt und Bea vor und stürzten sich auf Jim und Lydia, um sie so zu verkloppen und auseinanderzuhauen, dass ihnen Köln und Koblenz für immer verging, und sie schrien:
– Betrüger! Lügner! Und – Lydia! Du gemeines Miststück!! Der geht mit Marie!
Und Jim schrie immer: – C’m on!! und – Hey!! – und – You crazy?? What the fuck …
Und Lydia: – Seid ihr bescheuert? Ich hab doch nur …
Die Armee-Einheiten glaubten, es werde ein Angriff auf das Lager simuliert, und die Belgier und Franzosen kehrten zurück, und von fern hörten wir die Amerikaner im Laufschritt singen:
– They say, that in the Army the coffee’s mighty fine, It looks like muddy water and tastes like turpentine … Oh Lord, I want to go, but they won’t let me go. Hooooomme! Hey! … They say, that in the Army the shoes are mighty fine, you ask for size eleven – but they give you size nine … They say that in the Army the beds are mighty fine, but how the hell should I know, I’ve never slept in mine … Oh Lord, I want to go …
Da sah ich auf dem Boden das Päckchen liegen, das Jim Lydia zugeworfen hatte und das sie auffing, bevor beide sich umarmen wollten. Darauf war ein Herz gemalt und da stand:
– From the middle of nowhere … in the Westernwoods – this is in what I dreamed of you last night … for my sweet Marie …
– Der wollte mir doch nur ein Päckchen für dich mitgeben, du blöde Kuh!, rief Lydia.
– Ach so …
– Aber wieso muss er dich dann abknutschen?, fragte Bea.
– Ach, doch nur mal gedrückt …
– Schwöre!!!
– Wir sind Kumpels!!
– Why you not ask me? Marree, wenn du mir nicht glaubst?, fragte Jim.
– Immer du und Lydia, sagte ich schwach. Ihr habt doch so was wie … Seelenverwandtschaft, und wahrscheinlich auch … was weiß ich, … weil du auf mich …, flüsterte ich …, so lang hast warten müssen. Da kommt man halt bei Lydia schneller ans Ziel.
Da musste Jim husten. Er sah Lydia an. Sie sah ihn an. Sie sahen sich einen Augenblick zu lange an, bevor sie beide den Kopf schüttelten. Ich tat so, als hätte ich den Augenblick nicht bemerkt, aber er brannte in meiner Seele. Ich hielt das Päckchen fest, und Lydia machte sich eine Zigarette an und sagte:
– Mach nicht so’n Aufstand. Was soll ich mit deinem Jim? Ich kann den Sergeant haben, wenn ich will.
– Naja, sagte ich. Immer, wenn du hast, was du willst, gehst du woandershin, ist doch so, oder?
Verblüfft starrte Lydia mich an und tippte mich mit ihrem lila Fingernagel an.
– Hör mal, du dumme Gans, dein Jim ist nur dein armes Opfer, der von dir wild gemacht wird, einen ganzen Sommer lang, und dann hat der Überdruck und weiß nicht aus noch ein, und du stellst dich hin und sagst, ach ich liebe ihn doch und bin so unschuldig, ich arme Betschwester! Ihr macht alle die Jungens bekloppt, aber ihr wollt nicht geradestehen für das, was ihr anrichtet! Man muss die auch
Weitere Kostenlose Bücher