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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Held
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der schlimmsten Sorte, ihm ging es immer nur um die Arbeit, nicht wahr, und nicht darum, die Männer in den Krieg zu schicken. Hatte nicht der Arbeitsdienst die Sümpfe trockengelegt? Der Arbeitsdienst konnte nichts dafür! Und sie, Malwine, schon gar nicht!
    – Jahrgang 1929, ich weiß wer das ist – der kleine Erwin, der Juppchen und der Franz von der Hitlerjugend … wenn denen dann was passiert, dann geben sie uns die Schuld!
    – Jeder weiß doch, Befehl ist Befehl!
    – Ach, zerreiß doch den Befehl!!
    – Dann stehe ich in Langbach im Steinbruch und werde erschossen, das geht ganz schnell.
    – Ach, der schreckliche Krieg! Wenn ich das gewusst hätte!! Jetzt ist man so in der Bredouille!!
    Im Frühjahr 1945 zogen der kleine Erwin, Juppchen und Franz und der alte Hanjokeb noch nach Hamburg-Soltau, um den Gegenangriff auf die Alliierten zu machen und das Schicksal der Deutschen in letzter Not zu wenden.
    Als aber die drei Buben mit den alten Soldaten im Zug durch das Land fuhren, sahen sie überall die Verwüstungen und die zerbombten Häuser, Rauchwolken und Menschen auf der Flucht, und als der Zug durch den Wald rollte, sah Egon Deserteure an den Bäumen hängen.
    – Und?, meinten die alten Soldaten. Was meint ihr denn, ihr Buben? Werden wir den Krieg gewinnen?
    Und Erwin schielte nach den baumelnden Deserteuren und flüsterte: Ja.
    Kaum waren sie an der Elbe angekommen, da waren schon die Russen im Anmarsch und nahmen meinen Onkel Egon gefangen, und er durfte nicht wiederkommen bis 1955. Und Juppchen und Franz waren auch dabei und sind dort elendiglich verreckt.
    Als die Amerikaner in Scholmerbach einmarschierten, war es ein herrlicher, ruhiger Tag, ein blitzeblauer Märzenhimmel, sie kamen mit Panzern und Jeeps von Wällershofen die Chaussee herunter in das Dorf gerollt, und als sie hier und da weiße Fahnen in den Fenstern hängen sahen, hielten sie an und nahmen erschöpft die Helme ab und machten Quartier.
    Auf einmal, hatte meine Großmutter Apollonia gesagt, standen sie bei ihr in der Küche. Die Amis waren hereingekommen, schwarze und weiße, und Apollonia und Marianne hatten geglaubt, sie müssten vor Angst sterben und der jüngste Tag sei gekommen, und meine Mutter Marianne versteckte sich hinter dem bestickten Vorhang von den Handtüchern, und Apollonia stand am Kohleofen und wagte nicht, sich zu rühren. Marianne glaubte, dass nun alle erschossen würden, aber die Soldaten standen da und wussten nicht, was sie machen sollten, und sind selber noch ganz jung gewesen. Dann nahmen sie schließlich ihre Helme ab und setzten sich darauf und saßen einfach nur da, und dann machte Apollonia ihnen einen Kaffee. So hat sie es mir erzählt.
    – Ach, es gab doch keinen Kaffee, sagte meine Mutter später. Woher sollten wir denn Kaffee haben?
    Apollonia hatte aber gebrannte Gersten- und Haferkörner, die schüttete sie in die Kaffeekanne, und dann kochte sie den amerikanischen Soldaten daraus einen Kaffee mit etwas Kuhmilch, und den haben sie getrunken, und sie sind von der Brühe nicht gestorben. Das war der Augenblick, als Marianne Mut bekam und sich hinter dem Handtuchhalter hervorwagte und mit den drei Brocken Englisch, die sie kannte, plötzlich die Dreistigkeit besaß zu fragen:
    – Hev yu chocolad?
    Alle Soldaten sprangen auf und suchten in ihren Rucksäcken herum, und dann gab ein jeder Marianne eine Tafel Schokolade und Kaugummi und meiner Großmutter Apollonia eine Apfelsine.
    Apollonia und Marianne hatten noch niemals eine Apfelsine gesehen und sie waren sprachlos. Dass es etwas so Herrliches gab und dass die Amerikaner ihnen einfach eine schenkten, einfach so. Sie strahlte in einem so leuchtenden Orange, so hell und so saftig, dass sie den Krieg und die Nachkriegszeit hindurch leuchtete, und ihr Leben lang sah Apollonia gestochen scharf diese leuchtende Orange in den Händen eines amerikanischen Soldaten, und sie vergaß den Anblick niemals bis an ihr Sterbebett.
    Der Krieg war aus. Es war ein strahlender Tag mit einer so übermächtigen Freude, als es wie ein Lauffeuer durch den ganzen Westerwald ging, eine Erlösung, die grausame Schreckensherrschaft war vorbei! Deutschland hatte kapituliert, und wenn schon, der Krieg war vorbei, das war ein Glück nicht von dieser Welt, beinahe überirdisch, sogar der Himmel selber schien zu leuchten und zeigte ein wenig von seinem Glanz der Ewigkeit.
    Nur Malwine war es blümerant.
    Als zu ihr die Amerikaner gekommen waren, hatten sie gar nicht so schnell

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