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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Held
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nicht mitnahmen, falls sie ihn fanden, irgendwo.
    Jedenfalls hatten sie bei Fredo im Haus die Liste gefunden und gesehen, dass auch mein Großvater Klemens draufgestanden hatte, vorgemerkt für das KZ . Aber der hatte ja in den Krieg gemusst und lebte nun sein glückliches Gefangenenleben und wollte nicht mehr heim. Heim kamen auch Ewald und Hannes nicht mehr, sie blieben auf den großen Soldatenfriedhöfen von Lommel und hatten ein weißes Kreuz, und Großonkel Dagobert kehrte zurück und hatte nur noch einen Arm. Aber es war zum Glück der Arm, an dem ihm sowieso schon vier Finger gefehlt hatten, und darum war es nicht so schlimm, meinte Dagobert. Onkel Konrad war einigermaßen heil geblieben und musste noch zwei Jahre nach England in die Gefangenschaft und schraubte dort an der Küste die Rohrleitungen der Flammenwerfer ab.
    Mein Großonkel Willi hatte mit Nikolai gearbeitet und war gut mit ihm zurechtgekommen, und die Kinder hatten gern mit ihm gespielt. Nikolai durfte nun nach Haus, zurück nach Russland, er brauchte keine Balken mehr zu schleppen und keinen Holzschutz mehr zu streichen und keine Löcher mehr zu bohren und keinen Pflug mehr zu halten und keine Wassereimer mehr zu den Gäulen zu schleppen. Er war entlassen. Doch statt dass er sich freute und allen um den Hals fiel und sich bedankte und auf Wiedersehen sagte und die Geschenke mitnahm, wurde er von einem Augenblick auf den anderen ganz komisch. Sein Gesicht änderte sich, und er wurde hämisch und höhnisch, er warf den Hammer und die Sägen in die Ecke und fing an, laut zu reden auf Russisch und zu fluchen, wie man ihn noch nie gehört hatte. Es war gerade so, als ob Nikolai ein Anderer geworden. Er war auf einmal böse zu jedermann und drohte, und dann verlangte er Geld für die Reise und war ganz unverschämt. Dabei hatten sie ihn immer gut behandelt und am Tisch mitessen lassen wie einen eigenen Sohn. Nun wollte er nichts mehr von ihnen wissen und warf noch beim Hinausgehen einen Stuhl um und schrie:
    – Doswidanje!
    Da erschraken die Zimmerleute, und Willi sagte:
    – Jetzt zeigt der Russe sein wahres Gesicht!
    Aber Charlotte meinte:
    – Was wollt ihr dann? Er hat Jahre für uns schaffen müssen und keinen Lohn bekommen, sey hatten ihn doch hierher verschleppt. Maant ihr wirklich, he würde sich bedanken müssen?
    – Ja, sagte Willi, aber et es ihm doch gout gegangen bei uns. Woanders wäre er tot.
    – Et war alles nicht recht, was geschehen ist.
    Meine Urgroßmutter Charlotte war so dünn wie ein Rechen und so flink wie ein Wiesel, und sie hatte eine Garbe gebunden so rasch wie eine Maus sich dreht, um in ein Mäuseloch zu verschwinden. Sie hatte Nikolai noch ein Schmalzbrot einwickeln wollen und ein Stück Käse und ein Stück Wurst vom Schwarzschlachten für die Reise. Aber Nikolai hatte es nicht genommen und später sahen sie, dass er den ganzen Schinken aus der Kammer geholt hatte und einen Laib Brot und damit geflohen war voller Wut. Keiner hatte ihn aufhalten können, und alle hat er abgeschüttelt, die noch etwas von ihm wollten, und dann sah man ihn, wie er sich angeschlossen hatte den marodierenden Truppen der freigelassenen Kriegsgefangenen, vor denen man sich in den Wäldern fürchtete.
    Meine Großmutter Apollonia hatte Stinkkäse faulen lassen in dem blauen Steintopf, der bemalt und gebrannt war im Kannenbäckerland, und da stank er vor sich hin, zwei Jahre lang, bis auf einmal einer durch den dunklen Flur die offene Tür hereinkam und dann stand da mein Großvater Klemens in der Küche.
    Meine Mutter hatte mit Hermine gespielt und ihren gestrickten Lumpenliesen, und sie saßen am Tisch und ließen die Puppen hampeln hin und her, da war er einfach da gestanden und sie hatten es gar nicht begriffen. Meine Großmutter Apollonia war am Kohleofen herumgefahren und hatte ihn erkannt, und alle hatten geschrien wie am Spieß, und sie hatten es nicht glauben können und sich gefreut wie verrückt und Apollonia am allermeisten und hatte sich beinahe die Verzierung abgebrochen, und als ich später fragte, ist sie ihm denn um den Hals gefallen?, da sagte meine Mutter, nein, so was hätte sie nie gemacht, so was machte man nicht im Westerwald, aber sie hat furchtbar geschrien vor Freude und sich vertan und geweint, sie haben alle gar nicht gewusst, was sie machen sollten. Da hat er ihr aus Amerika den Ring mitgebracht, der war violett wie die Lavendelfelder aus Südfrankreich, meine Mutter weiß es noch genau. Den hat er sich abgespart

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