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Applebys Arche

Applebys Arche

Titel: Applebys Arche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
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Insel hätte
es sehen können.
    Die nächste Möglichkeit war der Strand. Appleby überlegte, wie er es
angestellt hätte, wenn er Unumunu dort umgebracht hätte. Er hätte entweder mit
ihm dort entlang oder auf ihn zu gehen müssen, und seine Haltung oder etwas,
das er in der Hand gehabt hätte, hätte gewiß Unumunus Aufmerksamkeit erregt;
außerdem hätte er, bevor er zuschlug, hinter ihn treten müssen. Denkbar war es,
daß jemand sich von hinten näherte und unbemerkt blieb. Aber das wäre nicht
leicht gewesen; bei einem Schwarzen, der noch nicht durch generationenlange
Geborgenheit in der Zivilisation seine Instinkte verloren hatte, wahrscheinlich
sogar unmöglich. Und auch hier hätte jeder Zeuge sein können.
    Blieb also der Dschungel – oder wie man es sonst nennen wollte. Das
war der wahrscheinlichste Ort, im Zwielicht zwischen baumhohem Farn, umgeben
von Dickicht und Schlingpflanzen – heimlich, verborgen, jedes Geräusch von der
Vielzahl fremdartiger Töne überlagert …
    Appleby starrte, noch von der stechenden Hitze des Strandes aus, in
diese Höhle der Vegetation. Er ging darauf zu, erklomm eine kleine Düne,
rutschte ab und glitt wieder nach unten. Der Sand war heiß und staubfein, und
eine Art Film stand darauf, Sandkörnchen, aufgewirbelt von einem kaum zu
spürenden Lufthauch. Es war nicht leicht, einen solchen Sand zu bezwingen. Und
doch mußte jemand über diese Anhöhe aus dem Dikkicht des Dschungels, über einen
Sandstreifen, der keinerlei Deckung bot und in dem der leiseste Fußabdruck
seine Spuren hinterließ, den toten Unumunu gezerrt haben – ins Wasser einer
kleinen, fast abgeschlossenen Lagune.
    Appleby suchte sich einen Platz im Schatten und sehnte sich nach
Tabak; vielleicht, überlegte er, wuchs er wild auf der Insel, und man mußte
sich nur umsehen. Wer weiß, was sich noch alles auf der Insel finden ließ; ein
Teil war ja immer noch unerforscht … Er kehrte zu der Frage zurück, warum
jemand den ungewöhnlich schweren Leichnam aus dem Dschungel in die Bucht
gezerrt hatte – und am hellichten Tag ja wohl. Unumunu war nach dem Frühstück
aufgebrochen, und etwa zwei Stunden später waren Appleby und Diana an den
Strand gekommen und hätten alles gesehen, was geschah. Zumindest die Tatzeit
ließ sich also recht genau bestimmen.
    Und Zeit war inzwischen ohnehin ein Faktor, denn die Flut lief ein.
Er ging hinunter, schritt den feuchten Sand vom einen Ende zum anderen ab und
ließ sich den Eindruck, den er ohnehin schon gewonnen hatte, noch einmal
bestätigen; im Sand zeichneten sich Fußabdrücke zwar deutlich ab, aber nach
kurzem waren sie wieder verschwunden, von unten ausgespült. Er machte weiter
oben am Strand einen zweiten Versuch, und dort stieß er bald auf Spuren, die
sich mit nichts erklären ließen, was sie bisher über diesen Tag wußten. Aber
alles, was er daraus lernen konnte, war, daß sie mit Absicht verwischt waren;
mühsam folgte er ihnen vom weichen Sand hinauf zum Dschungel. Hier war die
Stelle, wo jemand den toten Unumunu zum Strand geschleift hatte … er drang in
das Dunkel ein, setzte sich und wartete, bis seine Augen sich daran gewöhnt
hatten.
    Einen Moment lang war die Luft rings um ihn erfüllt vom Schwirren
winziger Flügel, dann stand sie wieder still – heiß, feucht, erdig. Das Zirpen
der Grillen übertönte die Brandung draußen am äußeren Riff; um seine Füße
spürte er die ungeschickten Echsen huschen; vor seiner Nase schloß sich der
fleischige Schlund einer gewaltigen scharlachroten Blüte plötzlich um eine
Fliege. Nie zuvor, dachte er, hatte ein Polizist in einer Umgebung ermittelt,
die ihm so sehr vor Augen führte, wie unbedeutend die menschliche Gerechtigkeit
war, eine welche Fiktion allein schon die Vorstellung war, daß die Natur sich
regt, weil sie zu Höherem strebt. Hier bewegten die Dinge sich ganz
offensichtlich immer nur, wenn sie angestoßen wurden; es geschah nur etwas,
weil etwas anderes zuvor geschehen war. Und der Mord an Unumunu interessierte
ihn – wie es von jeher bei Morden und verwandten Verbrechen gewesen war –, nur
deswegen, weil die Identität dessen, der angestoßen hatte, nicht ohne weiteres
zu erkennen war. Besonders schwer zu finden und deshalb, wenn gefunden,
besonders befriedigend für jenen Machtinstinkt, für jenes bestätigende Drängen,
das offenbar das einzige dynamische Prinzip war, das die Natur uns enthüllte …
    Aber Appleby war kein Philosoph, und mit einem Ruck, einer
verzweifelten Geste

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