Aprilgewitter
prallte beim Anblick des geschwollenen Gesichts und der sich immer mehr verfärbenden Augenpartie zurück.
»Heilige Maria, Mutter Gottes! Wer hat Ihnen das angetan?«
»Ich bitte Sie, dies für mich behalten zu dürfen«, wehrte Caroline zunächst ab. Dann sagte sie sich, dass sie keinen Grund hatte, Friedrich zu schonen. »Ich werde es Ihnen berichten, liebste Lore. Nur lassen Sie mir ein wenig Zeit. In meinem Herzen ist nur noch Schmerz. Meine Mutter war gerade erst fünfzig, und sie hätte nicht sterben müssen, wenn …«
Sie brach ab und sah Lore traurig an. »Mein Bruder hat mich geschlagen, weil er mich zwingen wollte, das Geld herauszugeben, das er bei uns vermutete. Dabei hat er eine Brosche in seinen Besitz gebracht, die Mamas letztes Familienerbstück war und die sie an mich weitergeben wollte. Generationen von Frauen ihrer Familie haben die Brosche bei ihrer Hochzeit getragen. Die Aufregung und der Schmerz über ihren Sohn, der ihr dieses letzte Schmuckstück mit Gewalt abgenommen hat, waren zu viel für ihr Herz. Sie hätte dringend einen Arzt gebraucht, müssen Sie wissen, doch mein Bruder hat uns das gesamte Geld weggenommen, auch meinen ersten Verdienst.«
Lore spürte, wie schwer der jungen Frau dieses Geständnis fiel. Sie konnte nichts als Verachtung für den Leutnant empfinden, der ihr bereits im Tiergarten unangenehm aufgefallen war. »Jetzt beruhigen Sie sich, Caroline. Wir werden dafür sorgen, dass Ihre Mama ein würdiges Begräbnis erhält. Und was Sie betrifft, so hoffe ich, dass Sie meine Einladung annehmen, mit Ihrer alten Dienerin hierherzuziehen. Da mein Mann dem Spleen verfallen ist, Soldat werden zu wollen, werde ich in den nächsten Monaten viel allein sein und freue mich über Ihre Gesellschaft.«
Die Worte waren ehrlich gemeint, das spürte Caroline trotz ihrer großen Trauer. Erleichtert ließ sie sich von Lore in eines der bislang unbenutzten Zimmer im Haus führen und blickte erstaunt auf das komfortable Bett, den hübschen Nachttisch und den geräumigen Schrank.
»Das ist unser Gästezimmer. Ich hoffe, Sie fühlen sich hier wohl«, erklärte Lore, die diesen Raum für ihre jugendliche Freundin Nathalia von Retzmann eingerichtet hatte. Doch bis das Mädchen aus der Schweiz kam, würde sie längst eine andere Kammer für sie vorbereitet haben.
Caroline, die über ein Jahr in einem zwar größeren, aber düsteren Zimmer fast ohne natürliches Licht hatte hausen müssen, blickte aus einem der großen Fenster, die durch schwere Stoffvorhänge verdunkelt werden konnten, und vermochte die Tränen nicht mehr zurückzuhalten. »Sie sind so freundlich zu mir! Dabei verdiene ich das gar nicht.«
»Das zu entscheiden, meine Liebe, müssen Sie schon mir überlassen. Ich zeige Ihnen jetzt noch das Badezimmer, damit Sie sich frisch machen können, und danach sehe ich mir die Schwellung in Ihrem Gesicht an. Jutta weiß sicher Rat, was wir gegen diese Blutergüsse tun können.«
Lore hatte das Dienstmädchen, das neugierig vor der Tür stand, bereits entdeckt und übertrug ihr die weitere Sorge für ihren Gast.
»Wenn es Ihnen ein wenig besser geht, werden wir zu Ihrer Wohnung fahren, meine Liebe«, sagte sie schließlich und rief nach Jean.
»Sieh zu, dass du einen Leichenbestatter auftreibst, und sag ihm, er soll in die Möckernstraße kommen«, befahl sie ihm.
»Drittes Hinterhaus, zweiter Stock«, setzte Caroline hinzu. Da ihr jemand die Verantwortung von den Schultern genommen hatte, fühlte sie sich wieder etwas besser und konnte dem Bediensteten auch sagen, zu welchem Pfarrhaus er gehen musste, um geistlichen Beistand einzuholen, und bei welchen Behörden er den Tod ihrer Mutter melden sollte. Danach setzte sie sich ein wenig zu Lore, sprach über ihre Mutter und auch darüber, wie ihr Vater den Besitz der Familie verschleudert hatte. Am Schluss erzählte sie ohne jede Beschönigung, wie ihr Bruder der Mutter neben dem letzten Geld auch die wenigen Schmuckstücke abgeluchst hatte, um als Offizier gut dastehen zu können. »Er wollte sich nicht in die Provinz versetzen lassen, wo sein Sold zum Leben gereicht hätte. Nein, er musste als Leutnant bei den Garde-Ulanen in Berlin bleiben. Nie hat er an Mama oder an mich gedacht, sondern immer nur an sich selbst. Finden Sie es nicht auch schrecklich, wenn man so von dem eigenen Bruder sprechen muss?«
Lore dachte an ihren Onkel Ottokar von Trettin, der ihrem Großvater das Gut abgenommen hatte und nach Aussage seines Kutschers
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