Aprilgewitter
benetzte.
Friedrich von Trepkow starrte auf die beiden Frauen und wich von einem nie gekannten Grauen getrieben bis zur Tür. Hier, das begriff er deutlich, gab es nichts mehr zu holen. Mit einem Fluch drehte er sich um und verließ das Zimmer, in dem seine Schwester um die Mutter weinte, die in ihren Armen zu sterben drohte.
»Ich muss einen Arzt holen, und wenn ich Frau von Trettin anbetteln muss, mir das Geld dafür zu geben«, sagte sie leise.
Da öffnete ihre Mutter noch einmal die Augen. »Ich benötige keinen Arzt mehr, mein Kind! Schon bald wird sich ein Höherer meiner annehmen. Es tut mir so leid, dass ich dich allein zurücklassen muss. Bitte verzeih mir! Ich hätte Friedrich nicht immer dir vorziehen dürfen. Nur deswegen hast du so oft hungern müssen. Wäre ich klüger gewesen, hätten wir angenehm leben können. Mit dieser Last muss ich nun vor den himmlischen Richter treten. Ich …«
Während der letzten Worte wurde ihre Stimme schwächer, dann verstummte sie für immer.
Caroline spürte, wie das Leben die Mutter verließ, und brach über ihr zusammen. Ihr verzweifeltes Schluchzen war das Erste, was die alte Fiene hörte, als sie zurückkam.
»Ich habe nirgends etwas bekommen«, sagte sie noch, stieß dann aber ein leises Jammern aus und trat neben das Bett ihrer Herrin. »Lieber Herr Christus, hilf!«
Sie sah Carolines blutig angeschwollenes Gesicht und erschrak. »Was ist passiert?«
»Mein Bruder hat mich geschlagen, damit ich ihm sage, wo wir unser letztes Geld versteckt haben. Dabei haben wir doch nichts mehr. Selbst vor Mama hat er nicht Halt gemacht! Als ich hereinkam, lag sie vor ihm auf dem Boden.«
»Herr im Himmel! Das hätte nicht einmal ich von ihm erwartet«, entfuhr es der alten Frau.
»Er hat sie umgebracht!«, brach es aus Caroline heraus. »Er hat die Brosche mitgenommen, an der sie so sehr hing, und über ihr Flehen nur höhnisch gelacht.«
Zorn verdrängte Carolines Trauer, und sie wiederholte leise die Worte, mit denen ihre Mutter Friedrich verflucht hatte. Dann blickte sie Fiene rachsüchtig an. »Mein Bruder ist ihr und auch uns beiden zum Verhängnis geworden. Hätte er uns nicht bei jedem Besuch alles Geld abgenommen, wären wir in der Lage gewesen, einen Arzt zu holen, und hätten auch nicht hungern müssen.«
»Was sollen wir nur tun? Wir können die gnädige Frau nicht einmal so begraben lassen, wie sie es verdient«, jammerte Fiene.
»Wir haben auch nichts mehr für uns selbst, weil ich jeden Pfennig unserer Vermieterin für die schuldig gebliebene Miete gegeben habe. Und dabei ist der neue Monat noch nicht bezahlt. Oh lieber Gott im Himmel, wofür bestrafst du uns?«
Caroline brach erneut in Tränen aus, rief sich dann aber zur Ordnung. »Du kümmerst dich jetzt um Mama und ziehst ihr das Beste von den noch vorhandenen Kleidern an. Inzwischen suche ich unsere Vermieterin auf. Ich hoffe, sie wird uns ihre Unterstützung nicht versagen!«
Fiene hatte von den Bediensteten der anderen Mieter einiges über die Wohnungseigentümerin gehört und glaubte nicht daran. Doch sie hatte nicht den Mut, Caroline zurückzuhalten, sondern riet ihr nur, sich das Gesicht zu reinigen und eine andere Bluse anzuziehen, weil die, die sie trug, voller Blutflecken war.
»Sie sollten auch Ihre Augen kühlen, gnädiges Fräulein, sonst haben Sie morgen ein Veilchen wie ein Preisboxer«, setzte sie hinzu.
»Dafür habe ich keine Zeit.« Caroline trat an das Waschgeschirr und wusch Gesicht und Hände. Als sie sich umgezogen hatte, starrte sie auf das vom Blut verfärbte Wasser und ärgerte sich, weil Fiene jetzt auf ihren alten Beinen bis zum Wasserhahn im Erdgeschoss laufen musste, um frisches zu holen. Sie wollte es schon selbst tun, beschloss dann aber, dass das Gespräch mit ihrer Vermieterin vorging.
Sie deutete auf das Essenspaket, das sie von Lore erhalten hatte. »Hier nimm, Fiene! Es ist etwas zu essen für dich.«
Die alte Frau blickte sie empört an. »Als wenn ich jetzt, wo die gnädige Frau tot hier liegt, ans Essen denken könnte!«
X.
F rau Granzow runzelte bei Carolines Anblick die Stirn. »Wie sehen Sie denn aus?«
»Ich … ich habe mich am Schrank gestoßen.« Eine andere Ausrede fiel der jungen Frau nicht ein. Niemals würde sie zugeben, dass der eigene Bruder sie verprügelt hatte. »Aber darum geht es nicht«, setzte sie atemlos hinzu. »Meine Mutter – sie ist eben gestorben. Sie müssen uns helfen, damit wir sie anständig begraben lassen
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