Aprilgewitter
und Gregor mangels anderer Möglichkeiten den Platz neben dem Kutscher eingenommen hatte, und befahl dann, in Richtung Tiergarten zu fahren.
In den nächsten Minuten redete nur der Kutscher, der seinen Tieren laute Anweisungen erteilte. Lore spürte, dass es Caroline nicht danach war, mit ihr zu reden, und sie wollte sie auch nicht dazu zwingen. Es war schon ein Erfolg, die Freundin zu diesem Ausflug überredet zu haben.
Als sie den Tiergarten erreicht hatten, trabte das Gespann die Bellevue Allee entlang, überquerte die Charlottenburger Chaussee und hielt auf Schloss Bellevue zu. Mit einem Mal tauchte ein Reiter neben ihnen auf und sprach sie an.
»Liebe Frau von Trettin! Endlich sehe ich Sie wieder.«
Lores Freude hielt sich in Grenzen, als sie Leutnant von Trepkow erkannte. Ihre Begleiterin machte sogar eine abwehrende Handbewegung,
als wolle sie den Reiter verscheuchen.
»Leutnant … äh, wie war noch einmal der Name?«, fragte Lore in einem Ton, der jeden anderen zum Rückzug veranlasst hätte.
Carolines Bruder jedoch hatte ein dickes Fell. »Von Trepkow, zu Ihren Diensten. Meine Schwester hat uns letztens einander vorgestellt.«
Bislang hatte der Leutnant der schwarz gekleideten Person, deren Gesicht zudem durch einen Trauerschleier verdeckt war, keine
Beachtung geschenkt. Doch jetzt hob Caroline den Schleier und funkelte ihn voller Hass an.
»Nenne mich nie mehr deine Schwester! Du hast Mama umgebracht!«
»Mutter ist also wirklich tot?« Für Augenblicke erschien Friedrich von Trepkow erschüttert. Dann machte er eine um Entschuldigung heischende Geste. »Dein Telegramm hat mich nicht erreicht. Ich war auf Manöver in der Mark. Ich bitte zu verzeihen, verehrte Frau von Trettin. Sie sehen mich entsetzt!«
Seine Schwester verzog verächtlich die Lippen. »Wieso glaubst du, ich hätte dir ein Telegramm geschickt? Nachdem du Mama um das Letzte gebracht hast, an dem ihr noch etwas lag, und sie daraufhin in meinen Armen starb, hast du jedes Recht verwirkt, dich ihren Sohn zu nennen.«
Friedrich von Trepkow schob die Gedanken an seine Mutter fort und dachte an seine Wette mit von Campe. Wie ärgerlich, dass ihn Caroline bei Lore nun in ein schlechtes Licht rückte. Mühsam zwang er sich ein Lächeln auf die Lippen und verneigte sich erneut vor Lore. »Ich muss mich für das Verhalten meiner Schwester entschuldigen, gnädige Frau. Wie es aussieht, hat der schwere Verlust, der uns getroffen hat, ihre Sinne verwirrt.«
»Du kannst nur lügen und betrügen!«, fauchte Caroline ihn an.
Da Lore befürchtete, ihre Freundin würde vollends die Contenance verlieren, fasste sie nach deren Hand. »Bitte beherrschen Sie sich, liebste Freundin. Wir wollen doch keinen Skandal heraufbeschwören!«
Die mahnenden Worte verfehlten nicht ihre Wirkung. Caroline schlug wieder den Schleier vor ihr Gesicht und sah an ihrem Bruder
vorbei.
Dieser schalt sie in Gedanken eine dumme Pute, die ihm seine Chancen verhageln wollte, und wandte seine Aufmerksamkeit wieder Lore zu. »Ich danke Ihnen, dass Sie sich meiner Schwester angenommen haben, liebe Frau von Trettin. Sie gestatten sicher, dass ich in Ihrem Haus vorspreche. Will mich erkundigen, wie es Caroline geht.«
»Angesichts der Umstände muss ich Sie auffordern, davon abzusehen. Es würde Caroline zu sehr erregen. Kutscher, weiterfahren!« Lore gab dem Mann auf dem Bock, der beim Erscheinen des jungen Offiziers angehalten hatte, einen Wink und lehnte sich in die Polster zurück, um Friedrich von Trepkow zu zeigen, dass sie das Gespräch als beendet ansah.
Der Leutnant überlegte, ob er dem Wagen folgen sollte, um herauszubringen, wo die Trettins wohnten, doch da befahl Lore dem Kutscher, am Kronprinzenufer entlangzufahren, um über die Luisenstraße die Allee Unter den Linden zu erreichen. Da er nicht die ganze Zeit wie ein Reitknecht hinter ihrer Droschke herreiten wollte, zog von Trepkow seinen Rappen herum und preschte quer durch den Tiergarten zur Charlottenburger Chaussee zurück.
»Was für eine Unverfrorenheit!«, zischte Caroline ihm als Abschiedsgruß hinterher. Dann klammerte sie sich an Lores Arm. »Sie dürfen ihn nicht empfangen! Niemals!«
»Keine Sorge, meine Liebe! Ich habe Ihr geschwollenes Gesicht und die Hämatome nicht vergessen, mit denen Sie an jenem verhängnisvollen Tag bei uns erschienen sind. Ihr Bruder kommt mir nicht über die Schwelle, das schwöre ich Ihnen.« Lore empfand in diesem Augenblick beinahe ebenso viel Hass auf den
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