Aprilgewitter
Caro muss aus dem Haus.«
Das Dienstmädchen verstand sie falsch und rief erschrocken: »Sie wollen sie doch nicht etwa auf die Straße setzen?«
»Natürlich nicht! Ich freue mich ja, dass sie bei uns ist. Doch derzeit hängt sie nur ihren trüben Gedanken nach. Das müssen wir ändern. Jutta, kannst du zu Marys Wohnung gehen und Herrn Hilgemann bitten, uns wieder als angeblicher Lakai zu begleiten? Ich wünsche, nach dem Essen zusammen mit Fräulein von Trepkow auszufahren.«
»Die werden Sie wohl zum Wagen tragen müssen«, meinte Jutta seufzend und machte sich auf den Weg. Im Vorzimmer traf sie auf Nele, die lustlos den Flederwisch schwang und so tat, als würde sie abstauben.
»Die gnädige Frau hat mir eben einen dringenden Auftrag erteilt. Kümmere du dich in der nächsten halben Stunde um das Mittagessen. Wehe, es brennt etwas an!« Nach diesen Worten verließ sie das Haus und lief die Turmstraße hoch Richtung Ottostraße.
Unterdessen trat Lore zu Caroline und sah mitleidig auf deren blasses, zuckendes Gesicht. »Liebe Freundin, ich finde, Sie sollten etwas mehr auf sich achten.«
Caroline sah nicht einmal von ihrer Näharbeit auf. »Aber ich muss arbeiten, Lore. Durch den Tod meiner Mutter habe ich viel Zeit verloren. Ich will doch Sie und Mrs. Penn auf keinen Fall enttäuschen.«
»Das tun Sie gewiss nicht! Aber Sie sollten nicht nur an Ihre Arbeit denken, sondern auch an mich. Ich habe mich sehr gefreut, als Sie zu mir gezogen sind, weil ich hoffte, mit Ihnen reden und kleine Ausflüge unternehmen zu können. Ich benötige die frische Luft nicht weniger als Sie und würde Sie daher bitten, mich heute nach dem Mittagessen zu begleiten. Vorhin habe ich nach Herrn Hilgemann geschickt, damit wir nicht ohne männlichen Schutz sind.« Für einige Augenblicke hatte Lore den Eindruck, Caroline würde sich weigern, dann aber senkte diese betroffen den Kopf. »Liebe Lore, es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht die Freundin bin, die Sie sich gewünscht haben.«
»Unsinn, Sie sind genau die Freundin, die ich mir wünsche! Im Augenblick aber sollte ich Ihnen die Freundin sein, die Sie brauchen. Machen Sie noch diese Naht fertig. Dann setzen wir uns in meinen Salon und sehen uns die Modezeitschriften an, die Mary mir gestern mitgegeben hat. Es sind einige wunderschöne Modelle darunter, um die sich die Damen hier in Berlin bald reißen werden.« Lore setzte sich lächelnd neben Caroline, zog den Vorhang noch ein wenig zurück, damit diese mehr Licht erhielt, und sah zu, wie sie mit geschickten Fingern den Saum des Kleides nähte.
Es dauerte noch eine halbe Stunde, dann war Caroline fertig und legte das Kleid mit einem gewissen Bedauern beiseite. Sie sah sich in der Pflicht, unbedingt weiterzuarbeiten, um all das, was Lore und Mary für sie getan hatten, zu vergelten. Allerdings wollte sie Lore nicht verärgern und sagte sich, dass sie auch in die Nacht hinein arbeiten könne. In diesem Haus durfte sie die Gasbeleuchtung unbesorgt aufdrehen und hatte damit genug Licht für die kompliziertesten Nähte.
XVIII.
G regor Hilgemann kam auf die Minute pünktlich und glich in seiner Lakaientracht einem Diener aus einem hochherrschaftlichen Haus. Auch sein Benehmen entsprach voll und ganz diesem Bild.
Mit unbewegter Miene verbeugte er sich vor Lore und Caroline. »Gnädige Frau, der Wagen ist vorgefahren!«
Lore zwickte es, ihn zu fragen, wo er sich diese Manieren angeeignet hatte, erinnerte sich aber noch rechtzeitig daran, dass Marys Ehemann einige Jahre bei Thomas Simmern als Kammerdiener gearbeitet und dabei gelernt hatte, mit hochgestellten Herrschaften umzugehen. Daher begnügte sie sich mit einem »Danke!« und forderte Caroline auf, mit ihr zu kommen.
Ganz in Schwarz gehüllt schwebte die junge Frau an Gregor vorbei und schien ihn nicht einmal zu bemerken. Lore jedoch entging der Blick nicht, mit dem der junge Mann Caroline nachstarrte, und sie fragte sich, ob sich zwischen den beiden etwas anbahnen könnte. Allerdings war Gregor bürgerlicher Abkunft und Caroline von Adel. Auch hatte diese nie Andeutungen gemacht, ihr würde der Student gefallen.
Das muss die Zukunft entscheiden, sagte Lore sich und trat ins Freie. Die wartende Droschke war ein noch recht neues und von zwei Pferden gezogenes Gefährt, das aufzutreiben Gregor sicher nicht leichtgefallen war. Lore bedachte den jungen Mann mit einem freundlichen Lächeln, ging auf den Schlag zu und stieg ein. Geduldig wartete sie, bis Caroline ihr gefolgt war
Weitere Kostenlose Bücher