Aprilgewitter
Bratensauce so wurde, wie sie es sich vorstellte.
Nele warf derweil einen kurzen Blick in den Frühstücksraum. Dort stand noch das von Lore benützte Geschirr samt einer halbvollen Kanne Kaffee. Das Mädchen sah sich vorsichtig um und goss rasch Lores Tasse voll. Gegen den Tisch gelehnt trank sie genüsslich und aß zwischendurch ein übrig gebliebenes Brötchen, das sie mit Butter und Honig bestrichen hatte. Als draußen ein Geräusch erklang, zuckte sie zusammen, sah aber nur den Diener an der halb offenen Tür vorbeigehen. Er schien vergessen zu haben, dass er den Tisch abräumen musste. Das übernahm Nele für ihn.
Als sie mit dem Geschirr in die Küche kam, kniff Jutta die Augen zusammen. »Wo ist Jean?«
Sie erntete von Nele nur ein Schulterzucken. Wütend drückte sie ihrer Kollegin den Kochlöffel in die Hand und wies auf den Topf mit der Suppe. »Du musst ununterbrochen rühren, damit nichts anbrennt.«
Nele folgte der Anweisung, blickte Jutta aber missmutig an. »Die Gnädige – wenn man sie so nennen will – sollte gefälligst mehr Dienerschaft einstellen. So arbeiten wir uns hier zu Tode.«
»Du gleich gar!«, spottete Jutta. »Ich will keine despektierlichen Äußerungen über die gnädige Frau mehr hören, verstanden?«
Nele lachte. »Gnädige Frau ist gut! Du weißt doch ebenso gut wie ich, dass sie gar nicht von Adel ist.«
»Aber jetzt gehört sie dazu, und damit hat sich’s! Oder willst du den Dienst aufkündigen, weil du nur in einem richtig feudalen Haus Staub wischen kannst?«
Für einige Augenblicke hielt Nele den Mund, zog dann aber eine spöttische Miene. »Für eine echte Gnädige gehört es sich aber nicht, für eine Schneiderin zu arbeiten!«
Jutta wollte schon ausholen, um ihr eine Ohrfeige zu verpassen, begnügte sich aber damit, sie von oben herab anzusehen und ihr zu befehlen, schneller zu rühren. Dann ging sie in den Vorratsraum, um weitere Zutaten für das Mittagsmahl zu holen. Während sie einige Töpfe umräumte, um an das Gewünschte zu kommen, fragte sie sich, was es mit der Freifrau von Trettin und dieser englischen Modeschöpferin auf sich haben mochte. Im nächsten Moment tadelte sie sich selbst, denn das ging auch sie nichts an.
Nele starrte missmutig in den Topf und sagte sich, dass die angeheiratete Freifrau doch nur eine schlichte Schneiderin war und damit nichts Besseres als sie selbst. Dabei stieg Neid in ihr hoch. Ihr war noch kein Märchenprinz wie der Freiherr Fridolin von Trettin begegnet, der sie aus ihrem Dasein als Dienstmädchen erlösen würde.
Hätte Nele ihre Herrin in dem Augenblick sehen können, wäre sie in ihrer Meinung bestärkt worden. Lore saß in ihrem Zimmer und nähte an einem hellblauen Festkleid mit kurzer Schleppe. In ihre Arbeit vertieft, bemerkte sie nicht, dass Fridolin leise ins Zimmer trat. Er sah ihr einige Augenblicke zu, wie sie die Nadel durch den Stoff fliegen ließ, und räusperte sich schließlich.
Lore blickte lächelnd zu ihm auf. »Bevor du etwas sagst: Dieses Kleid nähe ich für mich selbst. Es wird ja hoffentlich der Tag kommen, an dem mir Frau Grünfelder oder eine andere Dame der Gesellschaft eine Einladung zukommen lässt.«
Damit hatte sie ihren Mann entwaffnet, dem seine gestrige Missstimmung wieder in den Sinn kam, als ihm klargeworden war, dass
Lore immer noch nicht in die Villa des Bankiers eingeladen worden war.
»Ich werde dafür sorgen, dass du eingeladen wirst«, erklärte Fridolin mit Nachdruck, konnte sich aber eine kleine Spitze nicht verkneifen. »Musst du wirklich selbst nähen? Wozu hast du Mary diesen Modesalon denn eingerichtet? Deren Schneiderinnen könnten doch auch für dich arbeiten.«
»Wenn ich meine Festkleider selbst nähe, weiß ich, dass sie gut gemacht sind und genau so aussehen, wie ich es mir vorstelle. Das soll keine Kritik an Mary und ihren Näherinnen sein, doch in Modefragen verlasse ich mich am liebsten auf meinen eigenen Geschmack. Versuche also nicht, mich davon abzuhalten. Außerdem werde ich auch weiterhin für Mary arbeiten, wenn sie zeitlich unter Druck gerät oder eine Kundin besonders kritisch ist. Keine Angst! Davon wird niemand etwas erfahren, auch Marys Angestellte nicht.«
Fridolin spürte, dass er das, was ihm auf der Zunge lag, hinunterschlucken musste, wenn er einen weiteren Streit vermeiden wollte. Das Beste würde sein, wenn Lore eine Beschäftigung fände, die sie ausfüllen würde. Zu diesem Zweck musste er dafür sorgen, dass Juliane Grünfelder
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