Aprilgewitter
Reihe aufstellten und ihn von einer zur anderen schleiften, bis die letzten den Schnee einen Hang hinabwarfen, der mit dichtem Bergwald bewachsen war.
Kurz vor Mitternacht hielt der Anführer der Dörfler, der ganz vorne gegraben hatte, inne und wandte sich an Fridolin. »Ich bin auf die Hauswand gestoßen. Wollen wir hoffen, dass wir rasch die Tür finden.«
Fridolin nickte und grub nun in die andere Richtung als der Schweizer. Als er kurz darauf den Spaten erneut in den Schnee stieß, hörte er einen dumpfen Klang.
»Da ist Holz!«, rief er und verdoppelte seine Anstrengung.
»Hoffentlich ist es die Tür und kein Fenster. Die sind nämlich vergittert«, rief der Dörfler noch.
Da hatte Fridolin bereits den Türgriff freigelegt. Noch während er den restlichten Schnee vor der Tür entfernte, schwang diese nach innen auf, und Lore sah mit einem Ausdruck kindlichen Erstaunens heraus.
X.
L ore war durch ein stetes Scharren und Schaben darauf aufmerksam geworden, dass sich draußen etwas tat. Lieber Jesus Christus im Himmel, gib, dass wir gerettet werden!, betete sie still und forderte Jutta auf, Holz nachzulegen.
»Nimm auch ein paar von den feucht gewordenen Gazetten, damit es besonders viel Rauch gibt«, setzte sie hinzu. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Geräusche, die zu ihnen hereindrangen.
Nathalia trat an ihre Seite. »Was mag das sein? Leute, die uns ausgraben wollen, oder nur der Schnee, der weiterrutscht?«
Bei diesen Worten schlug Lore das Kreuz. »Heiliger Herr im Himmel, nur das nicht!« Sofort blickte sie besorgt nach oben. Das Dach knackte und knarrte immer stärker, hielt aber seiner Last noch stand.
»Wir müssen uns einen Platz schaffen, der uns Schutz bietet, falls das Dach einbrechen sollte«, sagte sie und versuchte, den schweren Tisch in jene Ecke zu schieben, in der die Felswand einen Teil der Mauer bildete.
Jutta und Nathalia kamen ihr zu Hilfe, aber beiden war anzusehen, dass sie dem Tisch nicht zutrauten, sie vor den hereinbrechenden Schneemassen zu bewahren. Doch alles war besser, als herumzusitzen und den unheimlichen Geräuschen zu lauschen, die zu ihnen drangen.
Da hallte ein leichter Schlag durch die Hütte. Erneut richteten alle drei ihre Augen nach oben. Ein wenig Schnee rieselte herab, doch das war alles. Dafür wurden die Geräusche an der Tür lauter, und jetzt glaubten sie auch Stimmen zu hören.
»Wir werden gerettet!«, stieß Nathalia aus und wollte zur Tür.
Lore fasste sie am Kleid und zog sie zurück. »Vorsicht! Die Tür geht nach innen auf. Wenn jemand sie aufstößt, wirst du dich verletzen. Außerdem könnte weiterer Schnee ins Haus eindringen.«
Sie schob das Mädchen Jutta in die Arme und eilte ihrer eigenen Mahnung zum Trotz zur Tür. Hier war deutlich zu hören, dass sich draußen jemand zu schaffen machte. Kurz entschlossen zog sie den Riegel zurück und öffnete.
Vor ihr stand ein Mann, den sie in seiner dicken Winterbekleidung und dem Hut nicht auf Anhieb erkannte.
Er ließ die Schaufel fallen, fasste sie um die Schulter und riss sie an sich.
»Lore, du lebst!«
»Fridolin?«, fragte Lore ungläubig.
Für einen Augenblick gab sie sich ihren Gefühlen hin und erwiderte Fridolins Umarmung. Dann aber schob sie ihn mit einem herben Gesichtsausdruck zurück. Da er ihr nun das Leben gerettet hatte, würde es ihr nicht mehr möglich sein, sich seinem Wunsch nach einer Scheidung zu widersetzen.
»Bringt die Leute heraus! Schnell, das Dach hält nicht mehr lange!«, rief einer der Schweizer von hinten.
Lore fasste sich und drehte sich um. »Nathalia, Jutta, kommt heraus. Aber seid vorsichtig!«
»Lore, ich bin ja so froh!«, sagte Fridolin.
»Ich auch«, antwortete Lore mit einer Stimme, die das Gegenteil zu besagen schien. Es wäre besser gewesen, die Lawine hätte mich umgebracht, fuhr es ihr durch den Kopf. Dann schalt sie sich eine eigensüchtige Närrin. Sie durfte nicht an sich denken, sondern an Nathalia und Jutta. Die beiden hatten es verdient zu leben, und sie musste Fridolin dankbar sein, dass er sie gerettet hatte.
Obwohl ihr das Herz blutete, ließ Lore zu, dass Fridolin sie durch den schmalen Gang, den er und die anderen in die niedergegangene Lawine gegraben hatten, nach draußen führte. Dort legte ihr eine Dörflerin ein Schultertuch um, und eine andere hüllte sie in eine Decke. Sie konnte nicht einmal danke sagen, da fasste einer der Schweizer sie unter und trug sie im Licht der Fackeln in Richtung Dorf. Als sie
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