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Aprilwetter

Aprilwetter

Titel: Aprilwetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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Schloss, denn der ist belebt von Studenten, die zu Fuß oder mit dem Rad von ihrer Chorprobe, Kneipentour oder Arbeitsgruppe kommen.
    Es ist dämlich, allein durch die Stadt zu spazieren, denkt er, es ist überhaupt dämlich, allein zu spazieren, egal wo, in der Stadt, auf dem Land, durch den Wald, es ist dämlich allein. Es wäre auch dämlich, allein in eine Kneipe zu gehen, Wasser zu trinken und anderen beim Besoffensein zuzusehen. Es war dämlich gewesen, aus dem Haus zu gehen.
    Bei Christine brennt kein Licht mehr, und er zieht leise die Tür ins Schloss, hängt die Jacke an den Haken und stellt den Fernseher an. Ohne Ton. Er nimmt seine Strat und spielt, aber nicht wie früher einfach irgendwas, sondern Läufe, Riffs, Figuren, denen er zuhört, auch wenn es nur das kleine akustische Zirpen und Klingeln ist: Er übt. Vielleicht wird er wieder spielen, echte Musik mit echten Musikern für echte Menschenohren, bis dahin muss er fit sein, die Fingerspitzen direkt mit dem Hirn gekoppelt haben. Oder mit der Seele. Und irgendwann ist er endlich müde und geht schlafen.
    —
    Nicks Exfrau Janet hatte ihm den Weg am Telefon erklärt und ihr Haus beschrieben, aber er war lange durch ähnlich aussehende Straßen geirrt, mit ähnlichen Häusern, die meisten hellblau oder weiß gestrichen, auf ähnlich großen rechteckigen Grundstücken, mit silbernen oder weißen Briefkästen am Anfang der kurzen Wege, die über Rasenstücke mit jungen Bäumen zu den Hauseingängen führten, bis er endlich den blauen Briefkasten mit der Aufschrift J. Schelsky entdeckte. Sie saß auf der Veranda, legte irgendwas beiseite, winkte ihm, stand auf und kam ihm entgegen.
    Nick musste gut von ihm gesprochen haben, denn Janet empfing Benno mit solcher Herzlichkeit, dass er sich wie ein Freund oder Bruder fühlte, sie schenkte ihm selbst gemachte Limonade ein, fragte ihn aus, nach seiner Reise durch die Staaten, nach seinem Leben in Deutschland, danach, wie ihm Amerika gefalle, ob er Heimweh habe – sie zog ihm Geständnisse aus der Nase, die er nie hatte preisgeben wollen. Nach weniger als einer Stunde wusste sie von Daniel und Christine, von seiner Flucht, von seinem Gefühl, der Nowhere Man zu sein, von der Scham, die er empfunden hatte beim Spielen zynischen Musikmülls, und der Sehnsucht, sein Talent wieder für gute Musik einzusetzen. Dabei hatte er doch nur Nicks Adresse oder Telefonnummer von ihr gewollt. Er war darauf eingestellt gewesen, eine Tasse Tee oder Kaffee zu trinken, einen Zettel in Empfang zu nehmen und wieder abzuhauen, stattdessen stellte er am Abend seinen Camper hinters Haus, schlief am übernächsten Tag schon in Janets Gästezimmer und nach zwei Wochen in ihrem Bett. Sie war so gelassen, unkompliziert und freundlich, dass er sich nach einiger Zeit wie angekommen fühlte, endlich angekommen an einem Ort, bei einem Menschen, in einem Leben, bei dem sich nicht spätestens am übernächsten Tag wieder alles ändern musste. Es war gut, wie es war, und sollte so bleiben.
    Zwar sah ihn Janet manchmal auf eine Art von der Seite an, die ihm zu sagen schien: »Ich glaube nicht, dass du bleibst«, und sie sagte manchmal nach der Liebe oder morgens beim Aufwachen, »I’m not the magic woman, I’m just the real one«, und das klang traurig und fatalistisch, aber dann tröstete er sie und sagte irgendwas wie »the magic real one« oder »real is magic«, und es schien ihm wahr zu sein in diesen Momenten, er wollte nicht weg. Christine war nur noch eine Art Einbildung, so etwas wie eine Zeichnung ohne Farben auf durchsichtigem Papier, kein Mensch mehr, kein Ziel und kein Verlust.
    Er spielte bald in zwei Bands, manchmal mit Nick, der inzwischen wieder in Nashville wohnte, und Warren zusammen in Demostudios für Vorproduktionen oder auf kleineren, von Fall zu Fall zusammengestellten Tourneen für Nachwuchstalente, die den Toursupport ihrer Plattenfirmen zur Verfügung hatten und ein paar Wochen lang davon träumen konnten, ihr Publikum damit zu erobern.
    Wenn er nicht unterwegs war, brachte er Janet morgens zur Arbeit, holte sie abends ab und hatte eingekauft, gekocht, das Haus aufgeräumt und vielleicht sogar einige der Aquarelle, die sie malte, in Passepartouts und billige Rahmen aus dem Supermarkt eingefasst.
    Er trank eine Menge, aber er war nie betrunken, fiel nie aus der Rolle und kam nie in die Verlegenheit, sich entschuldigen zu müssen. Irgendwann pflanzte er sogar Rosen im Garten und wurde der Liebling einiger Nachbarinnen,

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