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Aprilwetter

Aprilwetter

Titel: Aprilwetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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er, gleich wieder zu gehen. Sie ließ seine Hand los, griff nach der Reisetasche, wollte sie ihm abnehmen, aber erst als sie ein wenig am Griff zog, ließ er los.
    »Wir wollten unbedingt vor dir da sein«, sagte sie.
    Er stand noch immer unschlüssig da wie ein abgewimmelter Vertreter, und sie nahm wieder seine Hand und zog ihn in die Küche. »Ich mach Tee«, sagte sie, »komm.«
    Sie musste ihn zweimal zur Seite schieben, denn er stand an die Theke gelehnt, zuerst vor der Besteckschublade, dann vor dem Fach, in dem das Stövchen war, ein gelbes Porzellanding mit blauen Drachen, Teil des chinesischen Services, das Christine ihnen zum Einzug geschenkt hatte. Er nahm sich die vorletzte Parisienne aus der Packung und steckte sie an.
    »Ich hab es wohl ziemlich vermurkst«, sagte sie, dabei sah sie ihn nicht an, sondern studierte die noch glatte Oberfläche des Teewassers im Topf, bis es sich endlich zu bewegen begann. Benno schwieg.
    Er hätte reden müssen, hätte sagen müssen, immerhin ist jetzt raus, dass wir beide in dich verliebt sind, du musst entscheiden, wer es sein soll, oder wir versuchen es zu dritt, aber er brachte keinen Ton über die Lippen, zog nur ein ums andere Mal an der staubig und nach Teer schmeckenden Zigarette und sah sie an, wenn sie nicht hersah.
    »Ich war so aufgeladen«, sagte sie, ohne ihn anzusehen, sie widmete sich konzentriert dem Eingießen des Wassers ins Teesieb, »es musste irgendwie raus. Dass ihr das mitkriegen könntet, hab ich nicht bedacht, ich hab überhaupt nichts gedacht. Es tut mir echt leid, dass euch das wehtut. Ehrlich.«
    »Wir haben doch kein Recht auf dich«, brachte Benno heraus, immerhin das, auch wenn er alles Weitere wieder schluckte. Die Frage zum Beispiel, ob und wie sie Daniel getröstet hatte, gleich am Strand, im Bett, nur mit Worten, mit Streicheln, in den Arm nehmen oder so, wie er sich das vorstellte und nicht vorstellen wollte: mit Sex. Er schwieg und verbrannte sich lieber den Mund am zu heißen Tee.
    Inzwischen lehnte sie ihm gegenüber an der Spüle und sah ihn an. Er hatte den Blick gesenkt, sah nur ihre Hüften und ihre Beine, den Schoß, der sich leicht abzeichnete unter der blasstürkisen Hose, die weich und weit an ihr herunterfiel – über den Saum ihrer bestickten orangen ärmel- und kragenlosen Bluse sah er nicht hinaus. Sie war nur eine Stimme mit Beinen.
    »Was machen wir jetzt?«, fragte diese Stimme.
    Er zuckte die Schultern. Er wusste es nicht. Das, was er wollte, konnte er nicht verlangen, nämlich dass sie ihn nähme und Daniel vergessen sollte, das ging nicht. Er konnte ihr das nicht so ins Gesicht sagen, und er konnte auch Daniel nicht so einfach bestehlen.
    »Weißt du denn, was du willst?«, sagte er.
    »Wisst ihr es denn?«
    Dich, hätte er jetzt sagen müssen, aber wieder reichte es nur zu einem Schulterheben. Dabei sah er jetzt gerade, in diesem Augenblick, glasklar, dass das, was sie wollten, nicht möglich war. Zu dritt kann man sich amüsieren, aber nicht lieben. Zumindest nicht körperlich. Platonisch ja, sexuell nein. Aber platonisch wollten sie es beide nicht, sonst hätten sie nicht so niedergeschmettert auf Christines Techtelmechtel am Strand reagiert.
    »Soll ich immer noch hier einziehen?«, fragte sie jetzt direkt, und er musste ihr in die Augen sehen. Für einen Moment zwar nur, länger hielt er es nicht aus, aber dieser Moment genügte, um ihn erneut in Verwirrung zu stürzen. Sie sah ihn voller Liebe an. Das war kein neutraler Blick, kein Blick, den man einem zuwirft, weil man eben mit ihm spricht, sondern ein Blick, der sich eingraben will ins Gesicht des anderen, der festhalten will, was dort vielleicht flüchtig zu sehen sein mag, der anfassen will und spüren, was er anfasst – ein Blick wie eine Berührung.
    »Ja«, sagte er.
    —
    Früher hätte es hier noch geraschelt, denkt er, als er über die Insel geht, am Fluss entlang, nicht den breiten Weg in der Mitte zwischen den Platanen, sondern den schmalen, am Ufer rechts, hier wären Liebespaare auf der Uferböschung gewesen, die sich schnell bedeckt hätten, wenn sie meine Schritte hörten. Jetzt ist da niemand, kein anderer Spaziergänger, kein Dealer, kein Penner, niemand, nur er, dem auf einmal unwohl wird, so allein in diesem altmodischen Wäldchen mitten in der Stadt, dass er seine Schritte beschleunigt bis zur nächsten Brücke und sich dort erleichtert nach rechts wendet, zum Tunnel, stadteinwärts, und er nimmt nicht den Tunnel, sondern den Weg zum

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