APROPOS JANE ROBERTS - ERINNERUNGEN EINER FREUNDIN (German Edition)
gebracht hätte (und sicher auch viele ihrer Leserinnen und Leser).
So nahm ich widerstrebend zur Kenntnis, dass ich meine eigenen Gedächtnisspeicher öffnen und hier eine Art Gleichgewicht herstellen musste – oder zumindest eine gewisse Erdigkeit; irgendetwas in dieser Richtung. Diese Erkenntnis verursachte mir beträchtliche Sorgen und unter anderem auch die Angst, etwas zu sagen, das ich eigentlich nicht sagen sollte, die Gefühle ihres Mannes Rob Butts zu verletzen oder unabsichtlich eine so genannte rauchende Pistole zu fabrizieren, die gar nicht existierte – immerhin würde ich selbst es gar nicht schätzen, wenn irgendjemand spontane Bemerkungen und Stimmungen meines Lebens als Vorwand nähme, um Bedeutungen hineinzuinterpretieren, die ich gar nie beabsichtigt hatte. Zudem wusste ich, dass ich einige demütigende Details über mich selbst aufdecken und über nicht gar so schmeichelhafte Momente aus unser aller Leben würde sprechen müssen. Meine Erinnerungen an Jane sind durchmischt und schwierig wie die Erinnerungen von Mutter und Tochter, die nie so genau damit zurechtgekommen sind, wer sie eigentlich waren, entweder füreinander oder für sich selbst. Und wie bei lange verstorbenen Eltern können Erinnerungen, wenn man nicht vorsichtig genug ist, nur allzu gut mit dem Bedürfnis nach Zustimmung verschmelzen oder damit, dass die Lebenden das letzte Wort haben.
In seiner eigenen Biographie sagt Gore Vidal unter anderem: „Sogar ein träges Gedächtnis neigt dazu, das Bedeutungsvollste richtig zu übermitteln“. Und hier war alles von Bedeutung; jedes Wort und jeder Moment in jener Matrix von Zeit und Raum; es ist immer so, und wir verstehen es nie ganz, bis sie sich unwiderruflich von uns entfernt hat und nur noch in Gedanken und in Träumen besucht werden kann.
Alles in allem war daher das Schreiben dieser Erinnerungen ein ruheloses Nachdenken. Meine Erinnerung ist die unschuldige Stimme meiner Vergangenheit, so wie sie sich durch die Gegenwart ausdrückt; aber die Gegenwart kann gar nicht anders, als meine Wahrnehmungen zu verändern und Brennpunkte zu erschaffen, die nicht existierten. Ich muss daher vorsichtig und weise sein und dabei trotzdem naiv bleiben. Auch wenn ich mir von Jane mehr wünschte als das, was damals aus welchen Gründen auch immer nur möglich war, muss ich nun sowohl die schwierigen Aspekte zwischen uns als auch die vielen schönen Zeiten anerkennen und mir vorstellen, dass Jane die Ironie dabei sicher zu schätzen wüsste, dass ich nun diejenige bin, die ihre Papiere durchliest und versucht, sich mit allen unseren zusammengetragenen Erinnerungen nicht auf die Nachlässigen oder auf die Toten zu verlassen.
KAPITEL 1
Niemand hat mich das je gefragt
An einem prächtigen Herbsttag im Oktober 1994 sitze ich mit meiner Freundin Debbie Harris in einem Straßencafé im Städtchen Watkins Glen, New York, und trinke Cappuccino. Die Luft ist frisch und klar, eine kühle Brise weht vom nahen Seneca Lake zu uns herüber. Kleine Gruppen von Touristen spazieren durch das Stadtzentrum und schauen sich die Läden an. Wie es sich herausstellen sollte, kam mir der Gedanke, eine Biographie von Jane Roberts zusammenzustellen und dabei die gesammelten Erinnerungen und Träume von anderen zu verwenden, ironischerweise genau an jenem Morgen in den Sinn. Die Idee erfüllt mich nun mit einer solchen Wucht, dass ich das Gefühl habe, als ob ich nächstens zerspringen würde. Bereits habe ich Debbie überredet, mir ihre Tagebucheintragungen jener Wochen, in denen sie Jane im Spital besuchte, zu überlassen. Das geht im Handumdrehen, denke ich mir, kinderleicht wird das sein.
In genau diesem Moment, wie auf ein Stichwort, löst sich eine Frau aus einer Dreiergruppe und nähert sich unserem Tisch. Sie ist ungefähr Ende Dreißig, hübsch, schlank, mit dunkelblondem Haar, und sie schaut mir mit großen Augen und einem erwartungsvollen Ausdruck direkt ins Gesicht.
Irgendwo in meinem Kopf springt eine Alarmglocke an.
Sie fragt mich, ob ich Sue Watkins sei. Falls sie auch ihren eigenen Namen genannt hat, erinnere ich mich nicht mehr daran. Sobald ich widerstrebend bejahe, lehnt sie sich zu mir hinüber und flüstert: „Kennen sie Abraham?“
Ich überlege… Abraham? Abraham…
– Lincoln?
– Der aus dem Alten Testament?
– Eine lokale Größe?
– Eine Rock-’n’-Roll-Melodie?
Nichts davon ergibt einen Sinn. So schlucke ich den Köder und frage, wer denn dieser Abraham sei? Und nun wird
Weitere Kostenlose Bücher